F1533.

Allein die Tatsache, daß ich auch nicht besser gewesen war, zeigt natürlich, daß ich mich wirklich zusammenreißen und Silas etwas mehr Geduld entgegenbringen sollte

Vorgeschichte: F1538. Danien Wolf: "Silas Gutmenschenfsassade hat ja Risse bekommen! Wie hast du denn das gemacht?" fragte er mich

Danien Wolf erzählt:
Sirach hatte natürlich recht damit, daß Silas im Grunde gutwillig war und es einfach nicht besser wußte. Ich hatte im Augenblick aber ausgesprochen wenig Geduld mit gutwilligen Leuten, die nicht sorgfältig genug hinsahen, um erkennen zu können, was Sache war. Zumal solche Leute durch ihr Verhalten durchaus ganz erheblich Schaden anrichten können. Silas wäre beispielsweise nicht klar gewesen, daß Jan von irgendwem nach Hause begleitet werden muß, der etwas erfahrener ist als Jan, damit ihm nichts passiert. Das war mir anfangs auch nicht klar gewesen, daher hatte ich einige meiner Zuchtmenschen-Untergebenen aus Gefängnissen zurückholen müssen, bis ich es gelernt hatte und das ist nicht die Art wie ein Vorgesetzter so etwas lernen sollte. Ich meine, es ist ja schön und gut, daß mich die Leute nachher verehren, weil ich mir immerhin die Mühe mache, meine unzureichende Sorgfalt nachher wieder auszubügeln, aber ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen, daß das überhaupt nötig ist. Zumal man immer damit rechnen muß, daß sich ein Freigeborener findet, der den armen Kerl dann nur zum Spaß mit dem Strafer foltert.

Allein die Tatsache, daß ich auch nicht besser gewesen war, zeigt natürlich, daß ich mich wirklich zusammenreißen und Silas etwas mehr Geduld entgegenbringen sollte. Der ungläubige Blick, als Saman gesagt hatte, er hätte meine Akte gelesen, zeigte, daß Silas wahrscheinlich nicht schnell genug lesen konnte, um zu lesen, was zu lesen er eigentlich verpflichtet war und daß man wohl mal daran arbeiten mußte, ihm alternative Techniken beizubringen, damit er genug Wissen zusammenträgt, um alles Notwendige zu erledigen.

Nachdem ich mir das gesagt hatte, war mein Frühstück vorbei und ich sollte wieder einmal ein Gespräch mit Silas führen. Er fand dann auch gleich die richtigen Worte, um mich wieder auf die Palme zu bringen.
"Ich habe darüber nachgedacht und du mußt da etwas falsch verstanden haben. So etwas wie du die Gehorsamsübungen kann es gar nicht geben. Niemand fügt sich selbst auf Befehl solche Schmerzen zu, wie das was man den Soldaten gestern angetan hat." behauptete er.
"Ach - und wie kommt es dann, daß ich mich ganz genau erinnere, daß ich eine Woche lang täglich zwei bis zehn Stunden pro Tag solche Übungen gemacht habe? Nicht nur, daß ich auf Befehl den Strafer selbst ausgelöst habe, ich habe auch noch bewußt darauf geachtet, daß mir bloß kein Zögern anzumerken ist." antwortete ich.
"Aber... warum... das geht doch gar nicht!"
"Es geht und wann jemand auf den Trichter kommt, daß gehorchen die klügste Taktik ist, hängt vor allem davon ab, wie viel Erfahrung die betreffenden Leute mit so etwas haben. Alle Zuchtmenschen, die unter den Gefangenen waren, haben sich kurz die Erklärung angehört, wie die Gehorsamsübungen ablaufen und dann sofort entschieden, daß sie das tun, was ihnen gesagt wird. Für sie waren die Gehorsamsübungen nach einem Tag vorbei. Ich habe einen Tag länger gebraucht, bis ich zu dem Schluß gekommen bin, daß ich da am Besten durchkomme, wenn ich tue was man mir sagt. Es gibt auch Leute die über einen Monat lang ausprobiert haben, ob sie mit ihrer Weigerung, sich selbst zu foltern, durchkommen. Aber generell gibt jeder irgendwann auf und tut was ihm gesagt wird, weil man sich in so einer Situation nicht selbst schützen kann. Die, die heftig rebellieren, gehen an diesen Erfahrungen aber kaputt, sind nachher gebrochene Menschen." antwortete ich.
Ich hatte einiges zu tun, um ihm diese Zusammenhänge zu erklären, von denen ich ehrlich gesagt noch nicht überzeugt bin, daß ich sie selbst verstanden habe.

Dann kam er auf Jan zurück und fragte, warum ich denn so getan hätte, als müßte man ihn so sorgfältig beaufsichtigen, wie ein dreijähriges Kind. Ich erzählte ihm daraufhin von meinem ersten Ausflug mit Koris. Als pflichtbewußter Offizier hatte ich den Befehl, Koris überall hin mitzunehmen und ihn keinesfalls alleine irgendwohin gehen zu lassen, wortwörtlich befolgt. Ich kann aber nicht behaupten, daß ich verstanden hatte, worum es dabei ging. Ich hatte gedacht, daß Koris möglichst viel von den schönen Erlebnissen nachholen sollte, die man ihm ein Leben lang vorenthalten hatte und hatte mich bemüht, genau das zu tun und ihm die Dinge zu zeigen, die ihm bestimmt am meisten Freude machen würden.

Als Koris in atemlosen Staunen vor dem ersten Baum, an dem er in dem ersten Park vorbeikam, den wir durchquerten, stehen blieb und hoch zu der Krone starrte, während er von mir wissen wollten was denn das da ist, sprach mich ein älterer Polizist an und fragte, was denn mit dem Kerl los ist. Ich erklärte vielleicht zum zehnten mal, daß er nicht schwachsinnig und nicht verrückt ist sondern auf einer Raumstation aufgewachsen ist, wo es sehr viel nicht gibt, was uns selbstverständlich ist. Er fragte so gründlich nach, daß ich ihm nahezu alles erklärte, was ich über die Kriegssklaven wußte. Danach meinte er, ich solle aber gut auf Koris aufpassen, damit er sich nicht durch seine Unerfahrenheit in Schwierigkeiten bringt. Ich verstand nicht, wovon er redete, schließlich war Koris doch ein so lieber kooperativer Kerl, der ganz bestimmt keinen Streit sucht. Diejenigen die sich in Schwierigkeiten bringen sind doch immer diese streitsüchtigen Typen die außerdem noch zu illegalen Aktivitäten neigen. Wovon redete er also?

Ich habe es zwar geschafft Koris ohne Unfälle wieder mit nach Hause zu bringen, aber nicht alle meine Offizierskollegen waren so glücklich. Da das außerhalb der üblichen Überwachungsbereiche stattgefunden hatte, kam auch nie heraus, was eigentlich wirklich abgelaufen war, denn weder gab die Erklärung des Kriegssklaven Gasall XZB12-77-27 darüber, was er gesehen hatte, wirklich Sinn, noch paßte sie zu dem, was derjenige sagte, der ihn daraufhin mit einer Waffe bedroht hatte. Und ein Messer, das so verbogen war, wie dieses Messer es nach dem Experiment, was dabei herauskommt, wenn man einen Kriegssklaven bedroht, gewesen war, habe ich noch nie gesehen. Der Kriegssklave meinte dazu:
"Da war ein Messer, er wollte mich damit stechen und das darf er nicht. Und ich dachte mir, daß ich ihn auch nicht stechen darf, deshalb habe ich das gemacht."
Derjenige, der Gasall mit dem Messer bedroht hatte, hatte meiner Meinung nach etwas illegales gemacht und fürchtete, dabei von dem Offizier erwischt zu werden. Wie dumm es ist, einen atemlos staunenden Kriegssklaven zu bedrohen, konnte er wohl nicht ahnen. Schließlich war Gasall so offensichtlich naiv und jung gewesen, daß der Kriminelle dachte, er könnte ihn einschüchtern. Möglicherweise hatte er ihn auch von hinten erstechen wollen, um ihn auszurauben. Jedenfalls war Gasall nicht im Traum auf den Gedanken gekommen, daß irgendetwas an dem Kriminellen gefährlich sein könnte. Er fand lediglich, daß der sich seltsam verhalten hatte und verstand dieses komische Benehmen nicht, schließlich seien sie doch nicht im Krieg, begründete er das.

Da es sich hierbei um die Polizei meines Heimatplaneten handelte und nicht um Glühwürmchenpolizei, waren alle sehr amusiert über den naiven jungen Kerl gewesen, hatten ihn in eine Zelle gesteckt und unser Schiff verständigt. Die Aussage daß seine Vorgesetzten gerufen würden hatten Gasall aber im Verein mit dem amusiert freundlichen Verhalten der Polizisten das Gefühl vermittelt, daß alles in Ordnung sei und er alles richtig gemacht hatte.
"Fand er es den nicht gemein, daß sie ihn eingesperrt haben, obwohl er nichts Böses getan hat?" fragte Silas.
"Nein. Kriegssklaven werden oft nur deshalb eingesperrt, damit sie aus dem Weg sind, daher hat ihn das nicht gewundert. Er findet eingesperrt werden so normal, daß er im Traum nicht auf den Gedanken kommen würde, daß das eine Strafe sein könnte." erklärte ich.
"Sind Kriegssklaven denn wirklich so dumm?"
"Nein. Sie sind nicht dumm sondern unerfahren. Wann immer ich mich mit einem von ihnen in etwas gemessen habe, was sie kennen, waren sie mir überlegen."
Ich überlegte und fragte ihn, ob er ein bestimmtes Computer-Raumschlacht-Strategiespiel kannte.
"Schon, aber ich fand es immer zu schwierig."
"Ich habe das schon gern gespielt. Ich wäre wahrscheinlich nie Offizier geworden, wenn es anders wäre. Jedenfalls habe ich irgendwann mal bei einem Besuch bei Koris Mutter gegen eines ihrer dreijährigen Kindergartenkinder eine Partie gespielt. Das Kind hat gewonnen."
"Nein oder? Bist du sicher, daß es nicht älter war?"
"Es war drei. An dem Tag wurde sein Geburtstag gefeiert."
Tatsächlich war es nicht das einzige Kind in grob diesem Alter gewesen, das in diesem oder in ähnlichen Spielen gegen mich gewonnen hat. Mit einigen meiner jungen Leute, die ausreichend Selbstbewußtsein mitbrachten, um das wegzustecken, bin ich auch dorthin gegangen und wir haben uns darüber unterhalten wie unglaublich wir es fanden, daß diese Kinder so gut in diesen Gefechtssimulationen waren.

Die Kinder waren enorm neugierig auf die Welt draußen gewesen und hatten uns Löcher in den Bauch gefragt, durften aber normalerweise den Kindergarten nicht verlassen. Es war ein Umstand gewesen, zu arrangieren, daß sie mein Schiff besuchen durften und sie hatten auch da einige meiner Offiziere in Gefechtssimulationen besiegt.

Kersti

Fortsetzung:
F1532. Danien Wolf: "Ich will es mal so sagen", antwortete das Gehirn, "Ich halte mich zwar für einen fantasievollen Menschen, aber was diesen Leuten so an Ideen kommt, sprengt mein Fassungsvermögen."

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben