F1535.

Sie fanden auch meine Einstellung zu Aannann höchst mißtrauenserregend, nur weiß ich nicht, wie ein Psychologe, der behauptet, schon öfter mit Folteropfern geredet zu haben, zu so etwas kam

Vorgeschichte: F1540. Danien Wolf: Es war ein "Geschlechtsteile sind halt etwas, was abgeschnitten wird, wenn man in die Schule kommt." und mehr schien er damit nicht zu verbinden

Danien Wolf erzählt:
Sie fanden auch meine Einstellung zu Aannann höchst mißtrauenserregend, nur weiß ich nicht, wie ein Psychologe, der behauptet, schon öfter mit Folteropfern geredet zu haben, zu so etwas kam. Ich hatte mich ja damals mit den Gefangen geredet, die wir aus einem Schlachthaus befreit hatten und mich hatte bei den Gesprächen einiges irritiert. Beispielsweise hat jeder einzelne dieser Männer den Schlachter gemocht. Mich verwirrte das damals und ich hatte sie gefragt wie das kommt. Sie haben sich nicht wirklich selbst verstanden aber es hatte da schon Literatur gegeben, in der man nachlesen konnte, daß so etwas normal ist.

Ich machte dem Psychologen, der Silas aus dem Tal hieß, entsprechende Literaturempfehlungen und fragte mich, warum er sich nicht selber darum gekümmert hatte!

Noch unverständlicher war mir bei den von mir betreuten Folteropfern gewesen, warum sie die Echse, die die Oberaufsicht im Schlachthaus hatte, für ganz in Ordnung hielten. Wie Aannann war die Echse Eltar ssa Arkim im täglichen Umgang nicht ausgesprochen unfreundlich gewesen, sondern sie war ein Verhaltensforscher, dessen ausdrückliche Aufgabe es war, daß die Menschen, während sie sich fürs Schlachten mästen, möglichst zufrieden sind und keine vermeidbaren Schmerzen leiden. Die Echse verbrachte ihren Arbeitstag in der Schlachterei, fragte die Menschen regelmäßig, wie es ihnen ging und kümmerte sich darum, daß vermeidbare Wehwehchen behoben wurden. Wie in der Schlachterei, für die Aannann zuständig gewesen war und die er mir gezeigt hatte, bemühten sich die meisten gezüchteten Menschen, alles zu tun, was von ihnen verlangt wurde und behaupteten regelmäßig, sie wären damit wirklich sehr zufrieden. Das taten sie auch noch, nachdem wir sie befreit hatten. Trotzdem war einem, dem das nicht gelang, der Nerv, der das Stimmband versorgt, durchgeschnitten worden, damit er nicht ständig mit seinen Nachbarn quatscht. Sein Nachbar behauptete standfest, danach wäre er viel zufriedener geworden, was ich damals einfach nicht hatte glauben können. Nachdem mir Aannanns zum schlachten gehaltener Mensch erklärt hatte, wie sie ihm die Augen rausgenommen hatten, damit er sich nicht ständig umschaut und ich den Unterschied zwischen Zufriedenheit und Glück begriffen hatte, habe ich begriffen, daß es tatsächlich so funktioniert und warum das so war.
F1506. Kersti: "Ich verstehe nur nicht, warum man mir erst die Augen rausnehmen mußte, damit ich begreife, daß ich die Schmerzen annehmen muß, um zufrieden zu sein." sagte Savin
Letztlich muß man die Dinge, die unerreichbar sind, aufgeben, um zufrieden sein können. Wenn aber nichts in Reichweite ist, das wirklich glücklich machen kann, findet man so nur Zufriedenheit, nicht Glück.

Aannann sah seine Aufgabe, den Menschen möglichst Schmerzen zu ersparen auch als durchaus wichtig an und war sehr stolz auf seine Erfindung gewesen, dieses Messer, mit dem man Körperteile amputieren kann, fast ohne dem Opfer Schmerzen zuzufügen. Und dann war ihm der richtig gruselige Gedanke gekommen, Menschen nach und nach aufzuessen, den er an einigen seiner Hausdiener, die er gleichzeitig als Braten mästete, ausprobiert hatte und der ihn dann zu dem falschen Forschungsergebnis gebracht hatte, daß Menschen dadurch glücklicher werden würden, weil sie ihre wahre Berufung erkennen. Kelo war nicht in der Lage gewesen ihm seinen Irrtum zu erklären, ich schon. Wenn man weder Freiheit noch wahres Glück kennt, ist es selbstverständlich schwierig, den Unterchied zwischen Zufriedenheit und Glück zu erkennen. Ich hatte zwar erlebt, daß es mir half, mich mit dem Unvermeidbaren abzufinden und herauszufinden, wie ich dennoch möglichst viel Gutes aus diesem sehr eingeschränkten Leben ziehen konnte, daß es aber immer noch ein himmelweiter Unterschied zu dem war, was ich an Glücksmomenten aus meinem Leben als freier Mensch kannte. Umgekehrt fand ich es aber erstaunlich, daß ich es fertigbrachte, einfach weil ich mich dafür einschieden hatte, zufriedener zu sein als vor meiner Gefangennahme, und das obwohl ich wußte, daß Aannann beabsichtigte mich Stück für Stück aufzuessen und daß ich ihm meine Körperteile nach und nach als Schnitzel servieren sollte.

Während der Foltererfahrungen hatte ich geglaubt, ich wäre ganz anders als diese fügsamen Schlachtopfer und stellte dann in meiner Zeit als Aannanns Braten fest, daß ich mich geirrt hatte. Nicht ich war ganz anders als die Schlachtopfer, sondern bei den Foltern herrschten ganz andere Rahmenbedingungen, bei denen ganz andere Strategien funktionierten. Es begann damit, daß ich einen echten Grund hatte, nicht zu tun, was sie von mir wollten, denn selbstverständlich gehörte meine Loyalität meiner Heimat. Als Aannann mich als seinen Braten hielt, war ich zwar ziemlich mit Fluchtpläne schmieden beschäftigt, das war aber ein Grund mehr, mich sorgfältig an alles anzupassen, was er von mir wollte und keinen erkennbaren Widerstand zu leisten. Es hatte schließlich seine Gründe gehabt, daß ich, als ich die Wirksamkeit des Strafers prüfen wollte, zu ihm hingelaufen bin und nicht etwa von ihm weg. Ich muß ziemlich trottelig rübergekommen sein, was mir damals nicht bewußt gewesen war, aber trotzdem das Mißtrauen von Aannann zerstreut hatte.

Zu diesen Anpassungsleistungen hatte gehört, daß ich mich in Zufriedenheit geübt hatte, damit nicht auffiel, was ich wirklich vorhatte. Was daran wirklich irritierend war, war aber daß ich angefangen hatte, Aannann zu mögen und immer mehr positive Eigenschaften in ihm zu entdecken. Ich beschrieb dem Psychologen, wie sehr mich meine eigenen Reaktionen verwirrt und erschrocken hatten und erklärte ihm, daß ich glaube, daß wir da einem Instinkt aufsitzen, der uns zwar klug handeln läßt, aber uns über die Gründe dieser Handlungen verwirrt. Wenn man jemandem wehrlos ausgeliefert ist, ist es ein kluger Gedanke, eine möglichst gute Beziehung zu ihm aufzubauen, um in ihm den Wunsch zu wecken, freundlich zu sein. Wenn man aber nicht weiß, warum man das macht, weil man auf einen Instinkt reagiert, glaubt man man würde diese Person mögen, weil sie nett ist und nicht etwa, um sie von Grausamkeiten abzuhalten und das sind doch zwei völlig verschiedene Motive.

Kersti

Fortsetzung:
F1536. Danien Wolf: Auf dem Rückweg fragte der Psychologe, wenn diese Mästerei der Menschenmästerei so ähnlich und alle zufrieden wären, warum ich dann Schweine schlachten für besser halten würde als Menschen schlachten

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben