erste Version: 11/2019
letzte Bearbeitung: 11/2019

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Geliebte Malzeiten

F1544.

Danien Wolf wirkte seltsamerweise, als wäre er mit sich und der Welt zufrieden und das konnte einfach nicht sein

Vorgeschichte: F1543. Sirach von Tyr: Ich dachte mir, daß ich ihm erzählen mußte, daß ich verstehen kann, wie sehr einen solche Foltern kaputt machen können, damit er Vertrauen faßt und ehrlich zugibt, was seine Motive sind

Sirach von Tyr erzählt:
Danien Wolf wirkte seltsamerweise, als wäre er mit sich und der Welt zufrieden und das konnte einfach nicht sein. Wie ich war er ziemlich fett, da er das Gewicht von der Mast nicht mehr losgeworden war. Er sah nicht mehr wie ein richtiger Mann aus, weil sie ihn kastriert hatten. Er kam mit dem Rollstuhl herein, weil sie ihm ein Bein abgenommen und es aufgegessen hatten und redete, als würde ihn das alles gar nicht kratzen!

Als ich von den Foltern erzählte, meinte er, er sei aber der Ansicht, damit könne man auch ganz anders umgehen. Er behauptete er sei ziemlich schnell zu dem Schluß gekommen, daß es sowieso egal sei was er mache, sie würden ihn sowieso täglich so viel foltern, daß sie ihn gerade so nicht damit umbringen. Also hätte er das getan was ihm am meisten Spaß gemacht hätte, nämlich Echsen ärgern. Dasselbe hätte übrigens auch sein erster Offizier Koris XZB12-113-20 wie ihm bei einer Begegnung auf dem Gang aufgefallen sei. Danach wäre er sich wie ein Held vorgekommen, weil er Echsen geärgert hat.

Zuerst hatte ich ja gedacht, er würde das erzählen, um anzugeben. Als dann aber dieser Spruch mit dem Held kam, stellte ich diese Deutung wieder infrage.

Dann wären die Gehorsamsübungen gekommen, bei denen man sich selbst foltern soll und er hätte genau einen Tag gebraucht, um zu dem Schluß zu kommen, daß er macht, was sie sagen, weil es dann am schnellsten vorbei ist. Dann wäre er sich wie ein Feigling vorgekommen.

Wenn er drei Monate lang Echsen geärgert hat - warum brauchte er dann nur einen Tag um bei den Gehorsamsübungen völlig zusammenzubrechen? Das verstand ich nicht! Ich hatte tagelang gegen diese Zumutung rebelliert.

Danach erzählte er, daß ihn nach einer Woche Gehorsamsübungen eine Echse mitgenommen hätte, die Verhaltensforscher wäre, Siro cha Aannann hieße und ihm erzählt hatte, sie wollte ihn Stückchen für Stückchen aufessen und er solle ihr sein Fleisch selbst servieren, damit er in Ruhe begreifen könne, daß es seine Berufung sei, ihm als Nahrung zu dienen und er würde schon merken, daß er davon glücklich wird. Das wären alle geworden, mit denen er das so gemacht hätte.
"Das ist ja gruselig!" sagte ich.
"Ich hätte das ja gerne als Beweis genommen, daß Echsen von Grund auf verdorben und böse sind, dummerweise kannte ich einen menschlichen Verhaltensforscher, der mit seinen Versuchstieren genau so umging. Außerdem habe ich mich später mit drei hiesigen Zuchtmenschen über das Thema unterhalten und sie alle kennen menschliche Verhaltensforscher und Psychologen, die sich ganz genauso verhalten." fuhr er fort.
Ich stimmte ihm zu, denn seit meiner Gefangenschaft hatte ich öfter mit den hiesigen Zuchtmenschen darüber unterhalten und sie alle meinten, Menschen wären aber nicht besser und sie kannten solche Verhaltensweisen von ganz normalen Menschen.

Als nächstes erzählte er von seinem Vorgänger, Kelo, der ihm als der Braten des Verhaltensforschers vorgestellt worden war und der sich in dieser Rolle durchaus wohl zu fühlen schien. Er bestand darauf, daß er selbstverständlich gerne Aannanns Braten wäre, schien sich geliebt zu fühlen, wenn man ihm sagte, daß sein Schnitzel gut schmeckte und hätte ihm bereitwillig hingestreckt, was immer Aannann gerade abschneiden wollte, um es zu essen. Dabei hätte Kelo Aannann an anderen Stellen durchaus widersprochen und schien sich keine Sorgen zu machen daß er bestraft werden könnte, wenn er widerspricht.
"Das ist noch eine Steigerung zu dem was ich in der Mästerei erlebt habe." antwortete ich und gab mehrere Aussprüche der dortigen Zuchtmenschen wieder.

"Ja. Aber dazu gibt es noch eine Steigerung. Aannann war nämlich gerne bereit mir jede Art von Gefallen zu tun, die ihm kein Schnitzel kostet."
Dann erzählte er er hätte eine Mästerei und Schlachterei besichtigt und da hätte es einen Menschen gegeben, der nicht so wie gefordert zufrieden gewesen und sich fleißig gemästet hätte. Dem wären als Hilfe zur Zufriedenheit beide Augen heraus gelöffelt und die Wunde ausgebrannt worden. Er hat erzählt daß ihm das furchtbare Schmerzen bereitet hätte und daß er davon zu seiner offensichtlichen Verwunderung viel zufriedener geworden sei.
"Man hatte den Eindruck, daß er der Ansicht war, daß ihm diese grausame Prozedur wirklich geholfen hat, zufrieden zu sein und daß er zwar nicht verstanden hat, warum das funktioniert hat, aber daß er fand, ihm sei geholfen worden und daß es ihm jetzt besser ging. Kurz bevor er mir das erzählt hat, war er ausgenommen worden, damit man ihm am nächsten Tag auf dem Spieß braten kann und er hat wie hypnotisiert seine Eingeweide angestarrt, gesagt, daß es ein ganz merkwürdiges Gefühl sei sie da draußen zu sehen, er könne gar nicht glauben, daß sein Bauch jetzt ganz leer wäre. Und ja, er wäre zufrieden, geschlachtet zu werden. Ich war übrigens am nächsten Tag bei dem Grillfest anwesend, sie haben mich quer über den Platz zu sich gerufen um noch ein bißchen mit mir zu quatschen."
Ich sagte ihm, daß ich das aber gar nicht glauben könnte.
"Es ist aber wirklich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Weißt du, als Aannann mir das Bein abgeschnitten hat, war ich völlig verzweifelt, weil ich es endlich geschafft hatte meinen Fluchtplan zusammenzuschustern, so daß ich glaubte, er könne funktionieren. Und gerade als ich dachte 'morgen geht es los' kam er an, hat mir das Bein abgeschnitten und alles war zum Teufel. Das wirklich komische daran ist, vorher war ich verzweifelt. Dann hat er mir das Bein abgeschnitten, was wegen dem von ihm erfundenen High-Tech-Messer bei weitem nicht so schmerzhaft war wie angenommen, hält mir das Bein vor die Nase, ich starre es wie hypnotisiert an und habe ein Gefühl als wäre die Welt kaputtgegangen, weil mein Bein da und nicht an meiner Hüfte angewachsen ist. Und dieses Gefühl der Verwunderung hat die Verzweiflung, die vorher da war, völlig weggewischt, als wäre sie nie da gewesen und ich war nur noch verwundert."
Doch, merkwürdige Gefühlszustände hatte ich auch erlebt. Die gab es.

Ich sagte, daß ich trotzdem nicht glaube, daß sie zufrieden sind sondern daß sie Angst haben, über ihre Unzufriedenheit zu reden. Plötzlich fragte er mich, ob ich, als ich in dieser Mästerei gesessen hätte und versucht hätte so viel Essen in mich hineinzustopfen wie von mir verlangt wurde, nicht auch manchmal gedacht hätte, daß es eigentlich doch noch ganz schön ist, am Leben zu sein.
Doch, das hatte ich.
"Das meinen sie, wenn sie sagen sie sind zufrieden. Die Zuchtmenschen beantworten, wenn man sie nach Zufriedenheit fragt nie die Frage, ob sie sich das gewünscht haben oder ob sie glücklich sind. Sie meinen, wenn sie sagen, daß sie zufrieden sind, daß sie in der Lage sind sich mit allem abzufinden, was von ihnen verlangt wurde. Wenn man wissen will, was sie sich gewünscht hätten, muß man ihnen andere Fragen stellen. Kelo hat mir beispielsweise mal erzählt, daß er es bedauert hat, daß er nicht gut genug in der Schule war und deshalb nach ein paar Jahren Fabrikarbeit in die Schlachterei geschickt werden sollte. In dem Zusammenhang hat er schon gesagt, daß er lieber gesund alt geworden wäre." erklärte er.

Ich sagte ihm, daß ich den Eindruck gehabt hätte, er wäre wirklich unverschämt zufrieden.
"Teilweise ist das natürlich diese Zuchtmenschenzufriedenheit, von der ich geredet habe. Das Bein wird nicht nachwachsen, also finde ich mich damit ab. Auch meine Geschlechtsteile werden nicht nachwachsen, also akzeptiere ich, daß das nun mal so ist, schließlich habe ich geübt, mich mit Dingen abzufinden und ich wüßte nicht, warum ich das nicht anwenden sollte, wo es mir helfen kann. Es sind bei meinen Erfahrungen aber auch zwei Dinge herausgekommen die ich für wirklich gut halte. Einerseits bin ich irgendwie in die Position gekommen, daß ich hier die zentrale Person bin, die die Friedensverhandlungen mit den Echsen leite, die einerseits bewirken können, daß die Zuchtmenschen der Echsen nicht mehr geschlachtet werden, andererseits werden dann nicht mehr so viele Kameraden in diesem Krieg sterben. Außerdem bin ich eine vielschichtigere Persönlichkeit geworden und das ist etwas, was ich auch nicht mehr missen möchte. Ich meine, vor meiner Gefangenschaft hätte ich das Wort Diplomatie kaum buchstabieren können, jetzt bin ich die zentrale Person in diplomatischen Verhandlungen und ohne mich wären diese Verhandlungen nie zustande gekommen." erklärte er.

Damit war es ihm gelungen, mich richtig sprachlos zu machen.

Kersti

Fortsetzung:
F1531. Danien Wolf: Ich redete mit meiner Frau und war am Ende in Tränen aufgelöst. Ich hatte mich einfach entspannt und dann kam alles hoch

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben