erste Version: 12/2019
letzte Bearbeitung: 12/2019

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Der Bruder des Prinzen

F1573.

Meine Befürchtungen bestätigten sich. Ich kam wieder in so einen Zustand, wo ich eine Zeit, die mir ewig vorkam, außer Schmerzen nichts anderes wahrnahm

Vorgeschichte: F1583. Tanan LZB45-321-37: Kaum war der Krieger im Palast angekommen, rief mich der Hauptmann der Palastwache an und fragte mich, was er mit dem Typ anfangen sollte, der wäre vor dem ersten Baum, an dem sie vorbeigekommen waren, stehengeblieben und hätte überhaupt nicht mehr weitergehen wollen

Tanan LZB45-321-37 erzählt:
Kurz nachdem der Krieger angekommen war, bestellte mich der König zu sich und nachdem er mich begrüßt hatte, erklärte er mir:
"Ich habe mir überlegt, daß die Kinder so an dir hängen, daß ich möchte, daß du auf jeder Reise mitkommst, wo wir die Kinder mitnehmen. Dann muß aber auch ein Techniker im Palast sein und das wäre dann der Schiffstechniker unserer Yacht, was heißt, du brauchst dann die Anschlüsse, um ein Beiboot zu fliegen. Geh bitte heute noch zum Arzt, um dich operieren zu lassen."
Mir gefiel der Gedanke nicht. Nach den ersten Operationen hatte ich eine Woche gebraucht, bis die Schmerzen so weit nachgelassen hatten, daß ich sie einigermaßen ausblenden konnte, wenn ich etwas zu tun hatte, auf das ich mich konzentrieren konnte. Bis die Schmerzen vollständig abgeklungen waren, hatte es Monate gedauert. Ich hatte wirklich keine Lust, so etwas noch einmal zu erleben. Auch wenn der König in jedem zweiten Satz das Wort "bitte" verwendet, war das ein Befehl und ich glaubte nicht, daß es mir helfen würde, wenn ich sagen würde, daß ich das aber nicht will. Ich antwortete also:
"Wie sie wünschen, Herr." und ging zum Arzt.

Der Arzt war der Leibarzt des Königs und schon in Ordnung, auch wenn er ein Freigeborener war. Seine Helferin schickte mich sofort zu ihm weiter, als ich sagte, daß ich mich zur Operation hatte melden sollen. Er gab mir die Hand und fragte:
"Guten Tag, Tanan, ich nehme an, du bist bereits darüber informiert, welche Operation ich durchführen soll?"
"Grob. Wenn es nach mir geht, würde ich aber gerne jeden einzelnen Schritt der Operation kennen, ehe sie durchgeführt wird." antwortete ich.
Er warf mir einen so fassungslosen Blick zu, daß ich mich fragte, ob ich etwas Verbotenes getan hatte.
"Aber warum um alles in der Welt, willst du das?" fragte er.
"Ich kann mich dann besser darauf einstellen, was auf mich zukommt." antwortete ich und fragte mich, was daran so schwer zu verstehen war. Ich wußte ja, daß die Freigeborenen da etwas anders waren als wir, aber letztlich waren sie doch auch Menschen, oder?
Er fragte mich, was ich denn wissen wollte.
"Da ich die Hälfte der Implantate schon habe, kann es sich wohl kaum um die Standartoperation handeln, oder?" leitete ich ein.
Er fragte mich, ob ich denn wüßte wie die Standartoperation abläuft.
"Ja, selbstverständlich weiß ich das." antwortete ich.
"Ich bin gespannt. Erzähl mal."
Als ich begann, zu erklären, wie die Operation durchgeführt wird, fragte er sehr genau nach immer weiteren Details. Dabei wirkte er immer irritierter. Ich verstand weder, warum er so genau nachfragte, noch, was ihn so irritierte.
"Sag mal, hast du Medizin studiert?" fragte er mich schließlich.
"Nein. Ich habe lediglich einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht." antwortete ich.
Ich wußte, daß unsere medizinischen Ausbildungen besser waren als die der Freigeborenen, aber doch nicht so viel besser, daß man einen Erste-Hilfe-Kurs mit einem Medizinstudium verwechseln kann? Das fragte ich dann auch.
"Das wäre ein Experiment wert. Jedenfalls hätte ich nicht gedacht, daß ich wenn ich wissen will, wie man eine solche Operation durchführt, einfach dich hätte fragen müssen. Leider sind die verfügbaren Erklärungen dazu nicht so ausführlich, wie ich sie gerne gehabt gehabt hätte und ich dachte, ich müßte die Lücken mit eigenen Überlegungen füllen. Das was ich mir überlegt hätte, hätte auch funktioniert, aber so wie du es erklärt hast, ist einiges einfacher, daher muß ich mal kurz mit meiner Helferin ein paar Änderungen besprechen."
Er rief sie herein, ging mit ihr in meiner Gegenwart die gesamte geplante Operation noch einmal durch und beantwortete Zwischenfragen, die ich ihm stellte und ging auch auf meine Änderungswünsche ein. Dann legte ich mich auf die Behandlungsliege und wurde operiert.

Diesmal wurden weitaus weniger Drähte in meinen Körper eingepflanzt, nur ein paar am unteren Rücken und an den Nerven zu den Beinen. Dafür brauchte ich einen künstlichen Darmausgang und am Hals einen Zugang für die Flüssignahrung, um längere Zeit ein Beiboot fliegen zu können, ohne die Schublade verlassen zu müssen.

Meine Befürchtungen bestätigten sich. Ich kam wieder in so einen Zustand, wo ich eine Zeit, die mir ewig vorkam, außer Schmerzen nichts anderes wahrnahm. Danach war eine ziemlich lange Zeit, in der ich mich zu elend fühlte, um wirklich was zu machen. Der Arzt kam jeden Tag vorbei - glaube ich zumindest und sah nach, wie es mir geht. Als ich mich wieder wach genug fühlte, um etwas tun zu wollen, kam der Arzt wieder, um nach mir zu sehen, nur daß er diesmal den Anschluß für die künstliche Ernährung abstöpselte. Ich war froh wieder sprechen zu können und fragte ihn, ob ich jetzt aufstehen könnte.
"Darüber versuche ich mir gerade klar zu werden." antwortete er.
"Wie lange ist die Operation denn her?" fragte ich.
"Eine Woche."
"Dann gehe ich davon aus, daß ich aufstehen kann, es sei denn es wäre irgendetwas besonderes schief gelaufen denn in der Zuchtstation dürfen die, die die Anschlüsse für künstliche Ernährung und Darmausgang gelegt bekommen haben immer nach einer Woche aufstehen. Sie müssen nur noch nicht arbeiten, damit nicht die Gefahr besteht sich zu überlasten und dadurch die Wunden wieder aufzureißen, aber wenn sie auf sich achten, geht das mit dem Aufstehen schon. Zumindest habe ich noch nicht gehört, daß da wirklich etwas passiert ist."
Ich schnallte mich los, setzte mich auf und begann mich anzuziehen.

"Ich wünschte, ich müßte so etwas nicht machen." sagte der Arzt.
"Ich glaube, jeder gute Arzt denkt so. Aber ich hatte eigentlich vermutet, daß Freigeborene da etwas mehr Wahlmöglichkeiten haben als unsere Ärzte?" fragte ich.
Der Arzt erklärte mir, daß er aus sehr armen Verhältnissen stammte und als Kind oft nicht genug zu essen gehabt hatte. Da er sehr gut in der Schule gewesen war, hatte er ein Stipendium für ein Medizinstudium bekommen. Später als Arzt hatte er aber feststellen müssen, daß es nirgendwo eine Arbeitsstelle gibt, wo man nicht, um genug zu verdienen, so etwas machen muß wie Kinder kastrieren, weil die Eltern sie dann teurer verkaufen können oder eben so Operationen die den betroffenen Menschen letztlich nur schaden. Als Leibarzt des Königs müßte er so etwas manchmal machen, aber nicht häufiger, als bei jeder anderen Stelle, von der er leben könnte.
Ich erklärte ihm, daß ich der Operation ja nicht hatte ausweichen können und daher froh sei, daß es wenigstens von einem Arzt gemacht wurde, dem nicht egal war, wie ich mich damit fühle.

Das was mir der Arzt über seine Kindheit erzählt hatte, ging mir sehr lange nach, denn bei uns kam es nicht vor, daß ein Kind nicht genug zu essen bekam und deshalb krank wurde oder daß ein Kind krank wurde und die Krankheit einfach nicht behandelt wurde, so daß das Kind dauerhaft behindert war oder an eine Versuchsanstalt verkauft wurde, weil es für eine normale Arbeit nicht zu gebrauchen war. Um die Alltagswehwehchen kümmerte sich bei uns normalerweise die Mutter, wenn sie überfordert war, wurde eine Krankenschwester gerufen und wenn ein Arzt nötig war, stand auch der zur Verfügung. Und satt war ich mein ganzes Leben lang geworden. Freigeborenen konnten offensichtlich auch sehr schlimme Probleme haben, nur waren es nicht dieselben, die ich aus meiner Kindheit kannte.

Kersti

Fortsetzung:
F1574. Der Leibarzt des Königs, Kiwar von Lenniskalden: Es gibt Zeiten, da hasse ich meinen Beruf

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben