erste Version: 2/2020
letzte Bearbeitung: 2/2020

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Der Bruder des Prinzen

F1609.

Daher konnte das nur eines bedeuten: Die Vergiftung mußte so weit fortgeschritten sein, daß er sich nach Kräften darum drückte, jemals die Implantate zu verwenden, weil er jedes mal zu heftige Schmerzen hatte

Vorgeschichte: F1606. Salich vom Licht: Ich hatte das Privatflugzeug Tage vorher zum Raumhafen geflogen, da ich die Implantate nicht längere Zeit am Stück verwenden konnte, ohne vor Schmerzen die Besinnung zu verlieren

Tanan LZB45-321-37 erzählt:
Als ich aus der Landefähre stieg, machte mich einer der Bediensteten auf den Palasttechniker Salich vom Licht aufmerksam, der neben dem Athmosphärenflugzeug wartete. Da die Zuchtstation eine Raumstation war, gab es da so etwas nicht und ich hätte am liebsten die Abdeckungen von der Elektronik entfernt, um mir alles ganz genau anzusehen. Das konnte ich natürlich wirklich nicht bringen und als erwachsener Mensch sollte ich wohl in der Lage sein, das aufzuschieben, bis eine reguläre Wartung anstand. Trotzem konnte ich ihn ja mal fragen, ob ich fliegen darf. Talis wollte natürlich auch zu dem Flugzeug, also nahm ich ihn mit.

Der Palasttechniker sah alt und müde aus, als hätte er an gar nichts mehr Spaß. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber Freigeborene werden so, wenn sie alt werden. Andererseits werden wir wegen den Implantaten auch gar nicht alt und werden möglicherweise auch deshalb nicht von dieser seltsamen Lustlosigkeitskrankheit befallen, die Freigeborene immer kriegen. Aber wirklich Sinn gab das auch nicht, denn wir werden schon vierzig und bei einigen von ihnen beginnt diese Krankheit, wenn sie gerade mal erwachsen sind und sie wollen nichts mehr dazulernen und haben keinen Spaß mehr an ihrer Arbeit. Sie scheinen das auch völlig normal zu finden, denn wenn man einen Freigeborenen fragt, warum er eigentlich keine Lust hat zu arbeiten, sagt er, das würde ich verstehen, wenn ich erwachsen bin. Ich habe genug Erwachsene von meiner Zuchtlinie gefragt, um ganz sicher zu wissen, daß sie das auch dann noch nicht verstehen, wenn sie vierzig sind und kurz davor zu sterben. Unsere Leute sind in dem Alter immer sehr unglücklich daß sie nicht mehr so viel arbeiten können, wie sie das eigentlich wollen würden.

Ich deutete vorsichtig an, daß ich gerne fliegen wollte, sobald ich dem Palasttechniker die Hand gegeben hatte und war erschrocken, wie erleichtert er wirkte, als ich das tat. Auch freigeborene Techniker fliegen eigentlich durchaus noch einigermaßen gerne, trotz ihrer Lustlosigkeitskrankheit. Sie sind einfach bei allem lustlos, aber sie haben ja genau diesen Beruf, weil sie ihn sich selber ausgesucht haben, deshalb mögen sie ihre Arbeit schon irgendwie. Wenn jemand so erleichtert ist, wenn jemand anders fliegen will, dann ist die Vergiftung schon so weit fortgeschritten, daß der Pilot nach jedem Flug richtig schlimme Schmerzen hat. Ich nahm mir vor, seine Krankenakte anzusehen, um sicherzugehen, daß er wirklich die bestmögliche Behandlung bekommt, aber im Grunde kann man da gar nicht viel tun. Die Implantate vergiften uns und das letzte Jahr, bevor man daran stirbt, hat man wirklich ekelhafte Schmerzen. Wir lassen unsere Alten nur genau so viel Arbeit tun, wie sie selber wollen und arbeiten den Rest für sie mit. Die Freigeborenen wissen gar nicht, wie viel wir wirklich schaffen können, deshalb können wir das so hinkriegen, daß sie nicht merken, daß alte Techniker fast ein Jahr lang kaum noch arbeiten, ehe sie sterben. Früher wurden sie immer umgebracht und das wollen wir nicht.

Ich setzte mich also ins Flugzeug, stöpselte mich ein und maß das System geistig durch. Es war nicht perfekt gewartet. Nichts Schlimmes, es handelte sich um eine strategisch schlechte Wartung, wie man sie vornimmt, wenn man nicht die Zeit hat, alles richtig zu machen oder wenn Ersatzteile fehlen und man daher sparsam sein muß. Alle lebenswichtigen Systeme und ihre Ersatzsysteme waren in Ordnung, hatten vielleicht kleine Abweichungen von dem Idealwert, aber nichts, worum man sich Sorgen machen muß. Der Rest war wenig sorgfältig gemacht, nur so weit, daß es gerade noch so funktionierte. Ich hatte also meinen Grund, mir das Flugzeug gründlich anzusehen, sobald ich Zeit dazu hatte! Da der königliche Palasttechniker sicherlich jedes Ersatzteil kaufen konnte, was er wünscht, konnte das nur daran liegen, daß er wirklich schon sehr krank ist. Zwar stürzt das Flugzeug nicht ab, wenn die Kabinenbeleuchtung ausfällt, aber richtig peinlich wird das schon! Ich verlor kein Wort darüber, sondern nahm nur ein paar Einstellungen vor, die das System ein wenig besser austarierten. Um den Rest würde ich mich kümmern, bevor das Flugzeug das nächste mal benutzt wird.

Da außer mir niemand in der Elektronik eingeklinkt war, war ich froh daß der kleine Junge und der alte Techniker mit ins Cockpit kamen, so daß ich mit jemandem reden konnte. Ich erklärte dem Jungen das Flugzeug und unterhielt mich nebenher mit meinem alten Kollegen.

Dann kamen wir im Palast an. Wir landeten auf dem palasteigenen Flugfeld, das eigentlich auch einen überdachten Gang hatte, durch den man in das Hauptgebäude gelangen kann. Wir gingen aber durch den Garten, weil etwas war, was Freigeborene "schönes Wetter" nennen. Ich kannte die Pflanzen, die es da gab, zwar aus den Filmen, die zum Flugsimulator gehört hatten, aber es war doch ein großer Unterschied, ob man einen Baum in einem Film aus dem Flugzeugfenster sieht oder ob man unter einem Baum durchgeht. Am liebsten wäre ich stehen geblieben und hätte mir alles sehr genau angesehen. Ich wußte von den Alten, daß man besser so tut, als würde einen das alles nicht wundern und rausgeht, wenn man alleine ist, um sich das in Ruhe anzusehen. Die Freigeborenen halten einen sonst für dumm, weil man staunend vor einem Baum oder einer Blume stehen bleibt, dabei kennen sie das doch lediglich ein ganzes Leben lang und wissen deshalb, wie das alles aussieht.

Der König wollte meinen Geschwistern zuerst die königlichen Räume zeigen, während ich meine Arbeit erklärt bekommen sollte. Nicht daß ich etwas gegen die Arbeit hatte, aber ich hätte durchaus auch gerne den gesamten Palast besichtigt.

Dann kam ich in die Werkstatt und bekam einen Schock, denn dort lag ein ganzer ausgebauter Flugzeugmotor, der so aussah, als könnte man ihn sehr leicht wieder in Ordnung bringen. Natürlich mußten da einige Teile wieder ersetzt und neu eingestellt werden, aber sicherlich nichts, das ein gesunder Techniker nicht an einem halben Tag erledigen konnte. Es lag auch nicht daran, daß mein Kollege keine Ahnung hätte, denn nach dem was er so gesagt hatte, war er schon für einen Freigeborenen vernünftig informiert. Also die Geräte im Palast, die vorhanden waren, kannte er. Er hatte nur nicht zum Vergnügen auch noch alles mögliche andere gelesen, mit dem seine Arbeit nichts zu tun hatte, wie wir das immer tun. Daher konnte das nur eines bedeuten: Die Vergiftung mußte so weit fortgeschritten sein, daß er sich nach Kräften darum drückte, jemals die Implantate zu verwenden, weil er jedes mal zu heftige Schmerzen hatte. Also hatte er ausgenutzt, daß er beliebig viele Ersatzteile kaufen kann und einen ganzen Motor gekauft, statt den alten wieder in Ordnung zu bringen.

Ich stöpselte mich ein und sah als erstes die Krankenakte an, ob der Arzt alles über die Behandlung der Vergifung wußte. Der Arzt war zwar ein Freigeborener, wie sein Name zeigte, hatte aber offensichtlich sehr darauf geachtet, wirklich alles zu wissen, was Salich irgendwie helfen kann. Selbst die neuesten Erkenntnisse, die unser Schiff mitgebracht hatte, waren bereits in den Behandlungsplan eingeflossen, kaum eine Stunde nachdem der Arzt die Post per Funk erhalten haben konnte. Der war wirklich fleißig und offensichtlich auch kein schwerer Fall der Lustlosigkeitskrankheit.

Ich fragte den Wartungsbericht in den Aufzeichnungen ab und hörte mir gleichzeitig an, was der Alte mir so erzählte. Währenddessen überlegte ich mir auch, in welcher Reihenfolge man das am besten erledigt und fragte, ob ich die Arbeit auch mit zu Talis nehmen durfte oder ob das als unangemessen erachtet wurde. Der Alte beruhigte mich, daß der König es gut finden würde, wenn ich meinem Bruder nebenher etwas zu meiner Arbeit erkläre, da es sowieso zu meinen Aufgaben gehören würde alle technisch begabten Kinder am Palast zu unterrichten.

Ich hatte zunächst also einiges zu tun um den Wartungsrückstand aufzuholen, der sich bei meinem Kollegen aufgrund seiner Krankheit eingeschlichen hatte. Auch hier war das strategisch klug geplant. Er hatte sehr viel liegen lassen, trotzdem war niemandem aufgefallen, daß die Palasttechnik nicht anständig gewartet war, weil er sehr klug darin gewesen war, was man sofort erledigen muß und was man auf später verschieben kann. Ich war also trotz Allem nicht unter Zeitdruck gesetzt, sondern konnte es in Ruhe erledigen, wenn ich ebenso strategisch vorging.

Ich nahm mir einige der Dinge mit, bei denen unbedingt mit Implantaten gearbeitet werden mußte und sah dann nach, wo ich eigentlich das Kinderzimmer finde. Ich suchte mir eine möglichst interessante Route hoch aus und ging dann nach Talis und Mera schauen.

Kersti

Fortsetzung:
F1607. Salich vom Licht: "Willst du mir damit sagen, daß du Talis während der Arbeit erklärst, was du gerade machst, gleichzeitig irgend ein Fachbuch liest und noch drei vier Schülern ihre Fragen beantwortest?" fragte ich ungläubig

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben