erste Version: 9/2020
letzte Bearbeitung: 9/2020

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Kriminelle Adelige und tödliche Sklaven

F1743.

Also sitze ich hier, fühle mich wie ein Monster und weiß nicht, wie ich das ändern soll

Vorgeschichte: F1776. Theorn Tiger: Tharr schien den König und seinen Sicherheitschef für Jugendliche zu halten, die ihre Pubertät noch nicht hinter sich haben

Tharr vom Licht erzählt:
Die nächste Sorge hatte ich mit Seman LZB7-200-30, der zunächst mein technischer Assistent gewesen war, ehe ich ihm den Rang verschafft hatte, den er verdient hatte. Er erschien irgendwann einfach nicht zur Arbeit und stattdessen tauchte ein anderer Techniker auf, um ihn zu vertreten. Als ich fragte, wo Seman ist, antwortete er sehr ausweichend. Thimar XZB12-20-50, der sich gerade um mich kümmerte, war mit dieser Antwort nicht einverstanden, sagte aber nur "Komm mit." und führte mich zu einer dieser Schubladen, in denen die Techniker immer schlafen und fuhr die heraus. Da war Seman und er sah sehr krank aus, nur konnte ich nicht einordnen, was er hatte, also fragte ich nach. Er war bewußtlos, schwitzte und zitterte.

Thimar erklärte mir, daß Seman am Vortag bei der Arbeit zusammengebrochen sei. Es wäre ja jetzt fast zwanzig Jahre her, daß man ihm die Drähte einoperiert hätte und das wäre, wie es aussähe, wenn einer der Techniker an der Vergiftung stirbt. Er hätte noch ungefähr ein Jahr zu leben und er würde in dieser Zeit sehr viele Schmerzen haben.

Seman war ja fast dieselbe Sorte wie Treron, der mir bei jeder noch so schweren Verletzung erzählt hatte, ich solle mir keine Sorgen machen, das heilt ja alles wieder. Zwar erzählte mir Seman den lieben langen Tag, ich solle mir keine Sorgen machen, er käme schon zurecht, aber ich sah, daß er wirklich unmenschlich litt. Die gezüchteten Ärzte erklärten mir geduldig, daß sie bereits alles tun würden, was sie könnten, aber mehr Möglichkeiten, ihm zu helfen, hätten sie einfach nicht. Sorgen machen war auch nicht ganz das, was ich tat. Tatsächlich fühlte ich mich wie ein Monster, denn als Leiter der Zuchtstation hatte ich die letztendliche Verantwortung dafür, daß diese Operationen immer noch durchgeführt wurden.

Überhaupt verstand ich die Zuchtmenschen da nicht. Die Krieger hatte nie auch nur angedeutet, daß ich sie nicht mehr in die Schlacht schicken solle und die Techniker hatten nie auch nur angedeutet, da ich die Operationen beenden sollte. Und wenn ich etwas in die Richtung sagte, kam von ihnen "Aber das geht doch nicht!" Tatsächlich hatten sie damit recht. Indem wir sie gezüchtet hatten, hatten wir uns in einer Weise von ihnen abhängig gemacht, die vorher nicht existiert hatte. Und jetzt saßen wir in dieser Abhängigkeit und waren nicht in der Lage, sie zu beenden, weil wir sonst innerhalb von kürzester Zeit diese unsäglichen Kriege verloren hätten. Und genau aus diesem Grund hatten die Zuchtmenschen dem Löwenreich davon abgeraten, selber solche Operationen zu machen oder Menschen zu züchten. Es macht die Gesellschaft in einer Weise kaputt, die kaum wieder gut zu machen ist.

Also sitze ich hier, fühle mich wie ein Monster und weiß nicht, wie ich das ändern soll.

Nun ja, im Grunde habe ich ja schon etwas geändert. Denjenigen, die jetzt operiert werden, wird wahrscheinlich ein Großteil dieser Quälerei erspart bleiben.

Andererseits hatte ich auch dabei einen Grund gefunden, mich wie ein Monster zu fühlen. Mir war nämlich eines Tages einer dieser kleinen Jungen entgegengekommen, die zehn Jahre früher operiert werden, um Geld bei ihrer Aufzucht zu sparen. Ich sah daß er hinkte und offensichtlich große Schmerzen hatte und fragte, ob ich etwas für ihn tun kann. Als ich ihn dann fragte, was denn mit ihm passiert war, erklärte er mir, daß ihm im Rahmen der Versuche, um bessere Materialien zu finden im Bein Drähte aus einem anderen Material eingepflanzt worden waren. Er hätte das Pech gehabt, daß das Material, was bei ihm eingepflanzt worden war, sich als wesentlich giftiger erwiesen hätte als gedacht und deshalb hätte man ihm die Drähte wieder gezogen und jetzt würde er halt darauf warten, daß das wieder heilt. Der Junge beschwerte sich nicht darüber, daß man ihn für diese Versuche verwendet hätte. Er hielt sie für notwendig, weil sonst ja nie etwas besser wird. Aber ich kam mir wie ein Monster vor, weil ich Kindern so etwas antat.

Irgendwann hatte ich dann Seman LZB7-200-30 gefragt, ob sie all diese Grausamkeiten vielleicht nur deshalb fraglos akzeptieren, weil sie daran gewöhnt sind und sich deshalb nichts anderes vorstellen können. Seman hatte bei dieser Frage etwas verbüfft ausgesehen und dann geantwortet:
"Das kann sein. Diras Leute waren für uns vor allem deshalb so wichtig, weil Sitar uns, indem er von ihnen erzählte, mit Filmen von einer anderen Welt versorgte, die uns gezeigt haben, daß alles anders und viel besser sein könnte, als wir es und je hatten vorstellen können. Es ist aber auch ziemlich schwierig, eigenes mangelndes Vorstellungsvermögen davon zu unterscheiden, daß gerade etwas wirklich nicht besser hinzukriegen ist. Schließlich muß man die Alternative wissen, damit man weiß, daß es besser geht."
Das schlug mir auf den Magen, weil ich mir dachte, daß ich mich dann vielleicht nur deshalb wie ein Monster benehme, weil ich mir keine besseren Alternativen vorstellen kann.

Kersti

Fortsetzung:
F1744. Theorn Tiger: "Hat Tharr da denn gar nichts mitzureden?" fragte ich

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben