erste Version: 6/2020
letzte Bearbeitung: 6/2020

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Verhandlungen mit Glühwürmchen

F1773.

Sitar hatte schon wieder Antworten auf Fragen gewußt, die die Delegationsmitglieder nicht einmal sinnvoll hatten formulieren hatten können

Vorgeschichte: F1772. Sitar LZB2-37-10: Wer bringt es denn nicht fertig, einen richtigen Bündnisvertrag zu schließen, hilft seinem vormaligen Feind aber trotzdem, die eigene Armee aufzurüsten?

Königin Tamara von Leuenhorst erzählt:
Wie nach den letzten Verhandlungen meldete Sitar auch nach diesmal an, daß er eine längere Rede zu halten hatte. Das war mir völlig unverständlich, weil ich mir wirklich nicht vorstellen konnte, wann er eigentlich zwischen den Vorbereitungen für die Unterbringung der Zuchtsklaven und der umfangreichen Planung der Flottenmoderinisierungen, über die der Zuchtmensch Silas LZB27-33-15 etwas sagen wollte, noch Zeit gefunden hatte, sich so intensiv in die Unterlagen einzuarbeiten, daß er meinte, so viel Gesprächszeit zu brauchen, um gesellschaftlich Belange unserer Verhandlungspartner zu diskutieren. Andererseits - beim letzten mal hatte ich es nicht bereuht und wenn er meinte, so viel sagen zu müssen, hatte er vermutlich einen Grund dafür.

Ich frage mich sowieso, wo er immer die Zeit hernimmt, neben dem Arbeitspensum das er zu bewältigen hat, um die ständige Verbesserung und Modernisierung unserer Flotte voranzutreiben, noch die Zeit zu gesellschaftswissenschaftlichen Analysen findet, die in die Artikel einfließen, die er in diversen wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu diesen Themen veröffentlicht. In der Zeit, wo normale Leute ein Buch lesen, liest er offensichtlich zehn oder hundert und schafft es dann noch völlig entspannt und beinahe gelangweilt zu wirken, nicht so überarbeitet, wie man bei seinem Pensum eigentlich sein müßte, zumal er ja nicht nur theoretische Arbeit leistet sondern immer wieder auch zu Schraubenschlüssel und ähnlichen Instrumenten greift, um selber mit Hand anzulegen.

Sitars Vortrag war dann auch interessant, denn er sagte, daß wir mehr als eine politische Richtung offensichtlich völlig übersehen hatten.

Seiner Darstellung nach gab es bei den Zuchtsklaven, bevor wir die ersten Verhandlungen geführt hatten, zwei grundsätzliche politische Richtungen. Einmal gab es die Kriegssklaven und Techniker der drei Kriegssklavenschiffe, andererseits gabe es aber die gezüchteten Techniker der anderen Schiffe. Die Techniker hätten, wenn sie in Gefangenschaft gerieten - wie wir ja mitbekommen hätten - immer die Strategie gehabt, zu sagen "Wir sind nur arme Sklaven und ganz bestimmt nicht schuld an dem bösen Krieg, aber wenn ihr wollt können wir euch technische Hilfe anbieten." Dann hätte man über Schmuggler mit den so in verschiedenen Kulturen verstreuten Verwandten Kontakt gehalten. Die Techniker hätten daher einen Überblick über diverse Kulturen mit sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen bekommen.

Diese Strategie hatte für die Kriegssklaven nie funktioniert, weil sie ja immer auf jeden zuvor geschossen hatten, der sie gefangengenommen hatte und weil sie sehr viel ungebildeter wirkten, als sie waren. Außerdem wurden sie nie außerhalb der Schlachten eingesetzt. Daher wäre der Horizont der Kriegssklaven immer sehr viel enger gewesen als der der Techniker. Andererseits war bei dem Versuch möglichst bequeme brave Kriegssklaven zu züchten etwas herausgekommen, das im Grunde zum Fürchten war. Normalerweise sind sie ziemlich fügsam und tun bereitwillig, was man sagt. Wer sich aber so verhalten hat, daß die Kriegssklaven zu dem Schluß kamen, er sei kein Vorgesetzter sondern ein Feind, war innerhalb von ein paar Stunden oder höchstens Tagen tot und das war immer so organisiert, daß nicht herauszubekommen war, wer der Täter war. Es hat Fahrten gegeben in denen die Hälfte des Offizierskorps und 30 Prozent der Kriegssklaven nicht lebend am Ziel angekommen sind. Dennoch waren die Kriegssklaven diejenige Truppe, die die Schlachten gewonnen hat und es gab generell zu wenig Soldaten, so daß man nicht auf sie verzichten konnte. Also wurden Leute, die man loswerden wollte, auf die Kriegssklavenschiffe versetzt und das System beibehalten. Die Kriegssklaven haben ihr System zu Beseitigung von Feinden unter den Vorgesetzten verbessert, indem sie sich im Vorfeld von den Technikern haben informieren lassen, wer schlecht mit Sklaven umgeht, um diese Offiziere schneller aus dem Weg räumen zu können und die anderen in Frieden zu lassen. Als der damals noch sehr junge Tharr auf die Thorion versetzt wurde, war den Kriegssklaven daher bekannt, daß wir gezüchtete Techniker Tharr mögen, weil er uns gegen Übergriffe von sadistischen Vorgesetzten verteidigt hat. Tharr hat seinen Ruf noch verbessert, indem er der erste war, der es gegenüber den Kriegssklaven zuallererst mit Höflichkeit versucht hat und sich dann bei jeder Gelegenheit für sie eingesetzt hat. Die Techniker der anderen Schiffe hatten bis dahin noch keinen Unterschied zwischen verschiedenen Kriegssklaven gemacht, weil die XZB12-Zuchtlinie gerade erst begonnen hatte, bedeutend zu werden. Danach bekamen die XZB12s zunehmend den Ruf, komisch zu sein, weil sie ständig Pläne vorschlugen, in denen freigeborene Offiziere die Rolle von zuverlässigen Verbündeten spielten. Das wäre für meine Begriffe unvorstellbar gewesen, bevor ich hierher kam und so dachten auch die anderen Techniker. Wir hielten das für irgendeine Art gruselige Geisteskrankheit.

Als Tharr Kapitän der Thorion wurde, wurde klar, daß das tatsächlich etwas Merkwürdiges vorging, denn jeder Freigeborene, der ein bis zwei Monate als Offizier auf Tharrs Schiff verbracht hatte, verwandelte sich von völlig unausstehlich zu läßt einen in Ruhe arbeiten. Und es gab keine Toten mehr auf seinem Schiff, der Thorion, die nicht in der Schlacht tödlich verwundet worden waren. Man hatte sich allerdings noch kaum an den Gedanken gewöhnt, als Tharr von der Thorion weg als Sicherheitschef in den königlichen Palast versetzt und von dort aus ein Jahr später wieder zurück als Leiter der Zuchtstation eingesetzt wurde.

Den jetzt vorhandenen Unterlagen nach hat Tharr sich in seiner Zeit als Kapitän der Thorion eine beträchtliche Hausmacht an freigeborenen Offizieren aufgebaut, die regelmäßig bei Tharr Rat und Anregungen suchen, wie man verschiedene Probleme lösen kann. Außerdem hat er sowohl gute Beziehungen zu den Kriegssklaven als auch zum König, der sein Halbbruder ist, da Tharr ein illegitimer Sohn des Königs ist. Auch die Techniker betrachten ihn inzwischen als wertvollen Verbündeten. Von allen Menschen im Reich des Lichtes ist Tharr also die zentralste und mächtigste Person, auch wenn er jeder der verschiedenen Parteien gegenüber als deren getreuer Unterstützer auftritt. Man vertraut ihm und wenn man zuverlässige Informationen will, wie es weitergeht, ist Tharr wahrscheinlich die Person, die am besten informiert ist. Er ist auch der vertrauenswürdigste unter den mächtigen Personen, denn er hat bisher noch niemanden, der ihn als Verbündeten gesehen hat, enttäuscht. Tharr hat keinerlei Ambitionen den König abzusetzen, sondern ist auf Reformen aus, die allen dienen sollen.

Ich beobachtete, wie die Delegation Sitar aufmerksam zuhörte und nach dem Vortrag waren sie alle sehr interessiert an weiteren Antworten. Also hatte Sitar schon wieder Antworten auf Fragen gewußt, die sie nicht einmal sinnvoll hatten formulieren können. Der andere Techniker, Silas, den Sitar als seinen jüngeren Bruder bezeichnete, warf weitere Erklärungen ein, als Sitar nicht weiter wußte und war offensichtlich durchaus damit einverstanden, daß sein Bruder das alles so erklärt hatte. Als ich ihn später danach fragte, erklärte Silas mir, daß Sitar besser wüßte, wie wir alles auffassen und die Erklärungen daher besser verständlich zusammenfassen könnte. Sie hätten ihn mit geeigneten Informationen versorgt, damit er eine Zusammenfassung schreiben kann, die für uns verständlich ist. Ich dürfte mir die dahinterliegenden Informationen gerne ansehen, aber sie wären für die meisten Freigeborenen viel zu detailliert, um hilfreich zu sein.

Ich sah sie mir an und verstand nur Bahnhof, obwohl sie ein Lexikon mitgeliefert hatten und ich die unbekannten Worte deshalb nachschauen konnte. Das Ganze war zu kompliziert, selbst den Kurzzusammenfassungen konnte ich nur mit Mühe folgen. Die Rohdaten waren - einfach zu viele!

Kersti

Fortsetzung:
F1774. Dira von Leuenhorst: Als ich Torin erzählte, was bei uns der Spitznahme derer vom hohen Licht ist, erklärte er, daß die Könige so heißen, weil sie das, wo ihnen die Birne durchgebrannt ist, mit der Erleuchtung verwechselt haben

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben