F2204.

"Du warst völlig ruhig, hast auf sie gezielt und geschossen, dabei war sie nicht eimal zwei Meter weg." sagte Garan

Vorgeschichte: F2203. Karaman Val: "Weißt du, woran man einen richtigen Pilot erkennt?"

Karaman Val erzählt:
Vor mir stand Garan, der junge Pilot, der im Augenblick normalerweise Sima flog. Ich fand ihn ausgesprochen niedlich, aber das konnte ich ihm unmöglich sagen, dann wäre er tödlich beleidigt.
"Du, ist die Liste echt?"
Nachdem er mir bestätigt hatte, daß er wie vermutet Simas Liste meinte, woran man einen echten Pilot erkennt, sagte ich ihm.
"Ja Sima schien es wirklich sehr wichtig zu sein, daß ich ihr nicht verbiete, mit den anderen Schiffen darüber zu reden, was mir so alles für peinliche Dinge passiert sind, weil die ihr sonst nie glauben, daß sie einen richtigen Pilot hat."
"Ich habe aber noch nicht die ganze Liste abgehakt."
"Nein. Aber ich denke, seit die Echse dir bei der letzten Schlacht, wo du dabei warst, den Arm abgebissen hat, dürften es wesentlich mehr geworden sein."
Sein Gesichtsausdruck wurde wesentlich düsterer, der Blick ging in weite Ferne, aber er nickte.
"Weißt du, wir erleben so furchtbare Dinge, während wir unser Konföderation und ihre Ideale zu schützen versuchen. Natürlich ist peinliche Dinge zu tun, nicht Sinn unserer Arbeit, aber wenn man so lange wie ich dabei ist, hat man tatächlich so viele Dinge erlebt, die einen an die Grenzen bringen und darüber hinaus, daß man alle Punkte der Liste abgehakt hat."
"Wirklich alle?"
"In meinem Fall kann ich dir bestätigen, daß ich wirklich alle abgehakt habe." antwortete ich.
"Aber du wirkst doch immer so ... perfekt!"
"Nun, mit der Zeit wird man schon etwas stabiler. Andererseits gibt es auch immer wieder Situationen, die keiner der Betroffenen so einfach wegstecken kann. Gerade jetzt habe ich gemerkt, daß ich die Geschichte mit deinem Arm noch nicht verarbeitet habe."
"Glaubst du, daß den XZB12s auch so etwas passiert?" fragte er.
"Ja. Tut es."
"Ich glaube das nicht. Ich habe nämlich mit einem von denen geredet und der hat Ciakahrr-Krieger mit bloßen Händen besiegt."
"Du verwechselst kämpferisches Können mit seelischer Unverletzlichkeit. Wenn jemand so gut kämpfen kann, wie die XZB12s, heißt das nur, daß man sie an den Stellen eingesetzt, wo sonst niemand eine Chance hat. Letztlich haben sehr gute Kämpfer eher noch mehr solche Erfahrungen, die sie über ihre persönlichen Grenzen bringen, als mittelmäßige Kämpfer." antwortete ich, "Im Falle der XZB12s weiß ich es aber zufällig genau. Als ich den Verbindungsoffizier zu den XZB12s, Galan Nei, der zufällig ein alter Kamerad von mir ist, besucht habe hat er mir nämlich erzählt, wie einer ihrer hohen Offiziere reagiert hat, als ein Frachterkapitän sich in seiner Gegenwart in die Hose gemacht hat. Er sagte nämlich als allererstes 'Wir sind auch Menschen, wir kennen das auch', dann hat er dafür gesorgt, daß die Frachterbesatzung nichts von dem Malheur erfährt und ist offensichtlich so verständnisvoll auf ihn eingegangen, daß der Frachterkapitän eine Therapie bei ihm machen wollte. Der zweithöchste Offizier der XZB12s des Sonnensystems ist auf diesen Wunsch auch eingegangen und hat mit ihm die Schlacht, wo er gegen XZB12s gekämpft und verloren hat, so erfolgreich aufgearbeitet, daß er danach in seinen vorherigen militärischen Rang zurückkehren konnte."
"Bist du eigentlich böse auf Sima?" fragte Garan.
"Wieso?" fragte ich verblüfft, weil ich mir keinen Grund vorstellen konnte, weshalb ich ausgerechnet auf Sima böse sein könnte.
"Weil sie gesagt hat, daß du eine Therapie brauchst."
Ich lachte.
"Garan, wir brauchen doch alle eine Therapie! Oder meinst du, die Regel, daß jeder mindestens einmal die Woche mindestens eine Stunde lang mit einem Theraeuten reden muß und wenn er mehr will, auch täglich acht Stunden Therapie haben kann, wurde einfach nur zum Spaß eingeführt?"
"Na ja, zuerst habe ich es nicht verstanden. Aber..." er sah seinen Arm an, der nach der Regeneratortherapie wieder aussah wie vorher. Nichts erinnerte mehr an das zerfleischte etwas, das ich vor Augen gehabt hatte, während ich ihm in aller Eile den Arm abgebunden habe, damit Garan nicht verblutet. Nichts desto trotz hatte ich es sofort lebhaft vor Augen, als ich diesen Blick sah. Daran würde ich wohl noch etwas arbeiten müssen.
"Ja. Die ersten Stunden sind auch, damit man sich daran gewöhnt, mit einem Therapeuten zu sprechen. Sonst tut man es eben nicht, wenn man es wirklich braucht. Selbst so muß man sich ja überwinden, weil man oft nicht das Gefühl hat, wirklich verstanden zu werden." antwortete ich.
"Ja. Ich glaube, ich wäre kaputtgegangen, wenn ich nicht so viel Therapie gemacht hätte und das waren schon so etwa vier Stunden täglich, sobald ich das konnte, weil ich immer diese Bilder vor Augen hatte."
"Hast darüber schon mit Silas geredet?"
"Nein, das war mir peinlich, daß ich so überhaupt nicht allein sein konnte und jedesmal Angstzustände bekommen habe, wenn er den Raum verlassen hat. Und irgendwann warst du da."
Ich war nicht der einzige gewesen, der den Therapeuten gelegentlich abeglöst hatte, weil er auch seinen Schlaf braucht. So viel Zeit hatte ich dann doch nicht gehabt.
"Nun, du weißt doch, daß Silas dabei war, als die Echse dir den Arm abgebissen hat?"
Er nickte.
"Und wenn ich schon nicht richtig damit fertig geworden bin, wie soll es dann so einem Jungen damit gehen?"
"Du warst völlig ruhig, hast auf sie gezielt und geschossen, dabei war sie nicht eimal zwei Meter weg."
Als ich abgedrückt hatte, war die Kehle bereits direkt vor der Mündung der Waffe gewesen. Die sterbende Echse war auf mich gefallen und ich hatte mich erst einmal von ihrem Gewicht befreien müssen. Sie hatte versucht mich zu erreichen, bevor ich sie erschießen konnte und war nicht schnell genug, aber es war sehr knapp gewesen.
"Ich wußte nicht, daß du da noch bei Bewußtsein warst." antwortete ich.
"Doch war ich. Es war alles wie in Zeitlupe."
"Ich dachte, du bist tot, aber ich konnte dich doch nicht einfach so liegen lassen und irgendwie haben es die Ärzte ja doch geschafft, dich wieder ins Leben zurückzuholen."
"Ich habe über dem Körper geschwebt, als du mich hochgehoben und weggetragen hast."

Garan hatte danach erst mal an keinem weiteren Kampf teilnehmen können, ich schon und es hatte weitere häßliche Szenen gegeben, die mir zu schaffen machten, ehe wir mit einer ziemlich lädierten Flotte heimkehren konnten, weil die nötigsten Reparaturen durchggeführt worden waren.

"Weißt du warum ich auf Sima nicht böse bin?"
Er schüttelte den Kopf.
"Ich glaube, daß es nicht wirklich viel mit mir zu tun hat, daß sie mich zur Therapie ermahnt hat. Klar, so ganz bin ich mit dem Thema noch nicht fertig und es kommt auch immer wieder etwas neues auf mich zu, was ich dann wieder aufarbeiten muß, aber im Großen und Ganzen glaube ich, daß ich genug Therapie mache, sonst wäre ich nach diesen ganzen Jahren längst dienstunfähig. Aber Sima hatte vor mir einen anderen Kapitän und der hat seine Therapien nicht gemacht, sondern nur mit Sima geredet. Ich habe ihn noch kennengelernt und er ist wirklich vor meinen Augen zerfallen. Stell dir eimal vor, dein bester Freund erzählt dir alle seine Sorgen, so daß du ganz genau weißt, wie sehr er leidet und du kannst nichts dagegen tun. Jedenfalls glaube ich, daß Sima damit bis heute noch nicht fertiggeworden ist und mich deshalb ermahnt hat, meine Therapien weiterzumachen. Das mache ich natürlich, aber wenn der Therapeut mich dienstfähig schreibt, bin ich zwar noch nicht ganz durch das Thema durch, aber ich komme erst mal zurecht und arbeite den Rest nach und nach neben der Arbeit auf. Sima ist die, die jedesmal Angstzustände bekommt, daß es mir so gehen könnte wie meinem Vorgänger." erklärte ich.
"Du meinst Schiffe können auch traumatisiert werden?" fragte Garan.
"Ja können sie. Und sie sind normalerweise in Trauer, wenn sie einen neuen Pilot bekommen, weil der vorhergehenden dann entweder in der Schlacht gestorben oder dienstunfähig ist." antwortete ich und dachte daran, wie Sima die Gehirnschiffe für völlig normale Schiffe gehalten hat, die technisch nur ein bißchen anders konstruiert sind. Nur waren diese Gehirnschiffe, bevor sie zu Schiffen gemacht wurden, ausgewachsene gesunde Menschen, die als Menschen unter Menschen aufgewachsen sind. Sima war genauso naiv gewesen, indem sie sie als ihresgleichen behandelt hat, wie Dolon, als er Sima wie ein Gehirnschiff behandelt hat und dabei hat sich herausgestellt, daß der Unterschied zwischen Menschen und Schiffen viel geringer ist, als wir immer geglaubt haben.

Garan hat mit Silas geredet, er machte danach wesentlich mehr Therapie und schien sich wieder zu fangen. Auf mich hatte Silas nicht gehört gehabt, vermutlich weil ich ihm zu überlebensgroß erschienen bin. Garan, der ihm in Rang, Alter und auch persönlich viel näher stand, hatte mehr Erfolg gehabt.

Kersti

Fortsetzung:
F2205. Karaman Val: D

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben