F2560.

Natürlich war ich bei der Frage sprachlos, schließlich war Diro der allerletzte, von dem ich angenommen hätte, daß er jemals ins Zuchtmenschennetz eingeführt würde

Vorgeschichte: F2289. Diro von Karst: "Wer hat dich denn ins Zuchtmenschennetz eingeführt", fragte Prinz Talis mich

Silas aus dem Tal erzählt:
Diro vom Karst kehrte von der Zuchtstation zurück, wo er vorübergehend Tharr vertreten hatte. Bei dem, was ich über Diro wußte, war mir völlig schleierhaft, wie das hatte gut gehen können! Aber offensichtlich war er immer noch am Leben.

Warum er dann beinahe als erstes zu mir kam und mich fragte, wie es denn käme, daß ich ins Zuchtmenschennetz eingeführt wäre, war mir ein Rätsel. Natürlich war ich eingeführt, schließlich entstammte ich der Unterschicht, hatte ein abgeschlossenes Studium und war daher intelligent genug um mitzureden, auch wenn ich nicht geahnt hatte, wie naiv junge XZB12s sind, weil die etwas Älteren, die ich aus dem Palast kannte, mir immer wie Universitätsprofessoren vorgekommen waren. Man bekommt bei ihnen leicht den Eindruck, daß sie buchstäblich alles wissen, auch wenn das nun wirklich nicht sein kann.

Natürlich war ich bei der Frage sprachlos, schließlich war Diro der allerletzte, von dem ich angenommen hätte, daß er jemals ins Zuchtmenschennetz eingeführt würde. Immerhin war er früher ein Krimineller Adeliger gewesen. So lange er hier im Palast war, hatte er nie etwas Kriminelles getan und ich wußte, daß er froh war, daß diese Zeiten für ihn vorbei waren. Er hatte einige gute Reformen durchgebracht oder unterstützt, aber Diro im Zuchtmenschennetz war etwas, das mir unvorstellbar vorgekommen war.

Prinz Talis, der im Netz üblicherweise unter seiner Zuchtmenschennummer schrieb, war offensichtlich genauso überrascht, denn er meldete sich über Raumlautsprecher und stellte Diro die Frage, die ich nicht auszusprechen wagte. Dann bestellte er uns beide hoch in sein Büro.

Oben erfuhr ich dann, daß es mit der Zuchtstation nicht so glatt gelaufen war, wie ich gedacht hatte. Diro hatte echt Mut, daß er es wagte, über seine kriminelle Vergangenheit auch noch zu schreiben und offensichtlich war das auch kein kluger Gedanke gewesen. Absolut erschreckend fand ich allerdings, wie viele konkrete Verbrechen aus Diros krimineller Vergangenheit die Zuchtmenschen, ohne ins Stocken zu kommen, aufzählen konnten. Das sagte ich auch.
"Das hat mich auch erschreckt. Besonders weil jeder von ihnen mir andere Verbrechen aufzählt, wenn das Thema zur Sprache kommt. Und ich kann nicht einmal behaupten, daß das gelogen wäre, schließlich weiß ich, daß ich all diese Dinge wirklich getan habe, als ich jung war." antwortete Diro.
Als ich ihn fragte, warum er sich denn so verändert hatte, erklärte er mir, daß er vorher einfach nichts Gutes gekannt hatte und erzählte mir von seiner Kindheit, in der offensichtlich Folter und Grausamkeiten an der Tagesordnung gewesen waren - wobei es mich fassungslos machte, daß auch ein Kind von einem Planetenherrscher so behandelt worden war. Meine Eltern hatten selbstverständlich ihr Bestes getan, damit ich eine gute Zukunft habe und jetzt, wo ihnen das gelungen ist, überweise ich ihnen selbstverständlich Geld nach Hause, einerseits um die Ausbildung meines jüngeren Bruders zu finanzieren und andererseits damit es ihnen im Alter gut geht.

Da er offensichtlich bereit und in der Lage war zu erklären, wie zumindest er selbst gedacht hatte, als er ein krimineller Adeliger war, fragte ich Diro genau danach. Bei der Frage, warum denn so ein Krimineller Adeliger nichts dagegen unternimmt, daß seine Techniker so lange gefoltert werden, daß sie beim besten Willen nicht einmal in der Lage sind, das Lebenshaltungssystem anständig zu warten, antwortete Diro:
"Tharr vom Licht hat mal behauptet, Kriminelle Adelige würden glauben, daß Sternenschiffe nur fliegen, weil sie Angst vor ihren Kapitänen haben. Ganz so stimmt das natürlich nicht und ich kann mich durchaus erinnern, in den Vorlesungen gehört zu haben, daß es ein Lebenshaltungssystem gibt und wozu man das unbedingt braucht. Ich glaube, daß der Dozent das damals sogar ziemlich oft wiederholt hat, damit es auch jeder Idiot begreift. Aber als ich dann tatsächlich auf einem Sternenschiff war, habe ich jahrelang keinen Gedanken auf das Lebenshaltungssystem verschwendet, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt war, mir zu überlegen wer mich denn bestimmt noch umbringen will und wen ich schon genug eingeschüchtert habe, daß er sich das nicht mehr traut. Ich kam einfach nicht auf den Gedanken, daß es Leute geben könnte, die so lange man sie in Ruhe läßt, auch jeden anderen in Ruhe lassen, weil sie andere Dinge im Kopf haben als Leute umzubringen. Ich habe mich einfach vor jedem einzelnen Menschen gefürchtet, den es auf der Welt gibt und manchmal falle ich auch heute noch in diese Ängste zurück. Da ich damals aber immer Angst hatte, hielt ich mich für mutig, weil ich gewalttätig war. Heute sehe ich genau das als ziemlich feige an."
Na bei dem letzten Satz würde ich ihm zustimmen. Allerdings finde ich es schon richtig kraß, daß in seinem Kopf nicht reinzubekommen war, daß es Menschen auf der Welt gibt, die ihm nichts zu leide tun wollen. Nachdem der erste XZB, den ich kennengelernt hatte sich solche Mühe gegeben hatte, damit ich keine Angst bekomme, habe ich nie wieder darüber nachgedacht, wie gefährlich sie sein können, wenn sie wollen. Schließlich hatte er den Bombenleger dadurch erzogen, daß er ihm den Nachtisch gestrichen hat, wenn er nicht für die Uni arbeitet.

Andererseits konnte ich mir auch sehr gut vorstellen, wie ausgesprochen schlecht die XZB12s auf einen Diro zu sprechen gewesen sein müssen und dann sind sie sicherlich ihm gegenüber auch ganz anders aufgetreten. Ich erzählte Diro von meiner ersten Begegnung mit einem XZB12 und fragte, wie seine erste Begegnung war.
"Ehrlich gesagt kann ich mich überhaupt nicht über die XZB12s beschweren. Bevor ich auf die Thorion kam, kannte ich nur sehr widersprüchliche Behauptungen über die XZB12s. Im Lexikon stand die Behauptung, sie wären dumm und ungebildet und würden nur als Kanonenfutter taugen. Ich wußte daß kein Krimineller Adeliger, von dem ich wußte, die Thorion überlebt hat. Und dann gab es noch Märchen, nach denen sie magische Fähigkeiten besitzen oder Menschen fressen würden. Nichts was Sinn gab oder die vielen Todesfälle erklären würde. Ich war also völlig verängstigt. Dann stellte ich fest, daß Tharr vom Licht zum Kapitän der Thorion ernannt worden war und wenn ich in der Lage gewesen wäre, die richtigen Schlußfolgerungen daraus zu ziehen, daß in ich seinen Kinderspielen im Königlichen Palast immer in den Kerker kam weil dort kriminelles Verhalten verboten ist, wäre ich vielleicht darauf gekommen, was mich erwartet. Wenn ich daran gedacht hätte, daß er mir einmal gesagt hat ich wäre nur der Sohn eines Planetenherrschers, er wäre aber der Sohn des Königs, wäre mir vielleicht klar geworden, was als nächstes kommt. Aber ich kam nicht darauf, obwohl er eine Rede hielt, in der er genau gesagt hat, was er vorhat. Also landete ich im Bau und als das nichts half fiel mir eine Deckenplatte auf den Kopf. Ich wurde in Lazarett eingewiesen und von Kopf bis Fuß eingegipst, vorgeblich weil meine Wirbelsäule Schaden genommen haben könnte. Ich glaubte nicht daran, denn ich hielt das für einen mißlungenen Mordanschlag des XZB12s, den ich mit dem Strafer hatte quälen wollen. Daher glaubte ich, sie hätte mich mit dem Eingipsen wehrlos gemacht und wollten mich jetzt langsam und genüßlich zu Tode foltern. Nichts dergleichen geschah. Stattdessen wurde ich jeden Tag vor jeder Malzeit gefragt, ob ich dennn heute brav gewesen sei. Der XZB12, der mich fütterte, beantwortete sich die Frage selbst, indem er sagte, daß ich ja nichts Böses getan haben könnte, weil ich gar nichts hatte tun können und fütterte mich mit Notrationen. Als sie dann nach gut einer Woche entschieden, daß ich wieder gesund wäre, kam die nächste Lektion. Ein technischer Offizier erklärte mir noch einmal, wie man das Lebenshaltungssystem prüft und befahl mir dann, eben das zu tun. Ich tat es nicht, sondern suchte nach einem Hilfstechniker, auf den ich die Aufgabe abschieben konnte. Dabei stellte ich fest, daß ich in einem kleien Gangabschnitt eingesperrt war und immer schlechter Luft bekam, bis ich schließlich die Besinnung verlor. Ich kam im Krankenhaus wieder zu mir und bekam erklärt, sie hätten mir doch gesagt, daß ich das Lebenhaltungssystem prüfen soll. Wer das nicht tut, bekommt auf einem Raumschiff keine Luft. Danach habe ich getan, was immer ein XZB12 mir befohlen hat." erzählte er, "Jedenfalls weiß ich seither, daß sie eigentlich nur wollen, daß ich meine Arbeit tue und niemandem etwas zuleide tue."
Ich war sprachlos denn aus den Ereignissen hätte ich sicherlich nicht den Schluß gezogen. Für mich war das eingipsen schon eine furchtbare Gemeinheit.

Auf die Frage, ob er denn keine Angst hätte, daß sie ihn immer noch umbringen wollen, antwortete Diro, daß er zwar Angst hätte, aber letztlich hätte sich immer, wenn es heikel wurde, ein Zuchtmensch für ihn eingesetzt: "Es war schließlich Thimar XZB12-20-50, der mich zurückgeschickt hat, weil er dachte, daß die Diskussion zu sehr entgleist, nicht Tharr." sagte er.

Kersti

Fortsetzung:
F2593. Talis vom hohen Licht: Man muß ihnen unter die Nase reiben, daß sie Barbaren sind

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben