F2600.

Meine Mutter rief freudig erregt: "Silas, du kannst zur Schule gehen!"

Vorgeschichte: F260. Silas aus dem Tal: D

Silas aus dem Tal erzählt:
Ich war noch ein Kind, als das geschah was mein Leben auf eine völlig andere Bahn bringen sollte als das Leben meiner Eltern, die ungelernte Arbeitskräfte waren. Meine Mutter kam in das eine Zimmer gerannt, in dem wir alle lebten und rief freudig erregt:
"Silas, du kannst zur Schule gehen!"
Ehrlich gesagt hatte ich damals keine Vorstellung davon, was der Sinn der Schule war. Ich fand Schule auch nicht toll, denn dort mußte man stundenlang sitzen und aufmerksam zuhören und lauter langweilige Dinge tun. Das einzige, was zu dem Zeitpunkt bei mir zog, war daß dort jeden Tag eine reichliche Malzeit für die Schüler ausgegeben wurde. Ich dachte, daß das meine Arbeit war, mit der ich mir etwas zu essen verdiente. Meine Mutter erklärte mir immer wieder, daß Schule wichtig war, daß ich gut aufpassen und gute Noten schreiben muß, damit ich es später besser habe als sie. Im ersten Jahr lernte man lesen, schreiben und rechnen. Danach gab es einen Test und nur die durften weiterlernen und jeden Tag eine Malzeit bekommen, die diesen Test bestanden hatten.

Im zweiten Jahr fehlten die Schüler, die nicht gelernt hatten. Ich glaube aber, daß ich den Test nur bestanden habe, weil ich mir kaum Mühe geben mußte, um gut in der Schule zu sein. Es herrschte ein bessees Arbeitsklima. Der Lehrer erklärte auch, daß die Schule wichtig war, damit wir es später besser im Leben haben. Ich allerdings konnte mir dieses besser haben zu dem Zeitpunkt kaum vorstellen, sondern wußte nur, daß es dort täglich drei Malzeiten gab, während ich jetzt nur einmal täglich etwas zu essen bekam. Was mit diesem bessren Leben wirklich gemeint war, wurde mir erst klar, als ich ins Gymnasium versezt wurde, für das ich aufgrund meiner guten Noten ein Stipendium erhalten hatte. Die meisten Schüler dort gehörten einer höheren Gesellschaftsschicht an und hatten schon besser ausgebildete Eltern. Bei ihnen hatten die Kinder eigene Zimmer, sie hatten Spielzeug und einiges was schön ist aber was man nicht unbedingt zum überleben braucht. Bei uns Zuhause hatte es nicht einmal immer etwas zu essen gegeben. Seit mein kleiner Bruder zur Welt gekommen war, hatte ich ständig Hunger gehabt, bis ich in die Schule kam und dort täglich zu essen bekam. Im Gymnasium erhielt ich drei Malzeiten täglich durch die Schulküche und konnte in ruhigen Aufenthaltsräumen meine Hausaufgaben machen. Meine bürgerlichen Klassenkameraden aßen Mittags meist in der Schule, sonst aßen sie zuhause.

Ich lernte im Gymnasium mehr über die Gesellschaft und machte mir auch mehr Gedanken, vor allem aber wurde mir klar, daß ich so gut wollte leben können wie meine Klassenkameraden. Und ich wollte, daß mein kleiner Bruder das auch konnte. Mein kleiner Bruder besuchte sobald er alt genug war auch die Schule und ich half ihm abends bei seinen Hausaufgaben, damit er auch ein Stipendium fürs Gymnasium bekommt. Das gelang auch, aber ich war, glaube ich, begabter.

Vor mir und meinem Bruder hatte es andere Kinder gegeben, aber die waren alle in einem schlimmen Jahr gestorben, in dem es eine schlechte Ernte gegeben hatte und alle Leute krank wurden, weil sie nichts zu essen hatten. Ich glaube daher, daß ich nur deshalb erwachsen geworden bin, weil ich in der Schule jeden Tag etwas zu essen bekommen habe.

Auch im Gymnasium war ich gut genug, um ein Stipendium zu bekommen. Ich konnte also auf Kosten des Staates studieren. Das war etwas Besonderes, weil auch viele meiner bürgerlichen Mitschüler sich kein Studium leisten konnten und mich einige von ihnen darum beneideten.

Kersti

Fortsetzung:
F2601. Silas aus dem Tal: Einer der Adeligen Idioten hat eine Bombe gelegt

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben