Geron hatte mich vorgewarnt, daß der Dozent ein Zuchtmensch war und erst noch lernen mußte, sich verständlich auszudrücken
Vorgeschichte:
F2602. Silas aus dem Tal:
Er erklärte mir, daß er dafür sorgen würde, daß sich in einem Jahr ein Kind hier sicher fühlen kann, dann würde nämlich der Prinz sein Studium beginnen
Silas aus dem Tal erzählt:
Geron hatte mich vorgewarnt, daß der Dozent ein Zuchtmensch war und erst noch lernen mußte, sich verständlich auszudrücken. Ich sollte ihm so lange Zwischenfragen stellen, bis er vorne verständlich erklärt, was die Studenten wissen müssen und ich sollte dabei stur sein, denn alle Studenten brauchen verständliche Erklärungen und der Dozent braucht diese Hilfe, damit er lernt, sich verständlich auszudrücken. Ich versprach, das zu tun.
Der Dozent kam herein, stellte sich als Xitas LZB29-300-11 vor, steckte einen Stecker, der aus seiner Hose kam in den Schreibtisch, schrieb sein Rufzeichen an die Tafel und erklärte, daß er uns während der Vorlesung so viele Fragen beantworten würde, wie wir wollten. Wir sollten unsere Laptops einstöpseln, er würde dort einen geteilten Bildschirm zum Vorlesung nachlesen und Fragen stellen einrichten.
Das klang ja schon mal gut, auch wenn ich mich fragte, wie er das machen wollte, immerhin waren wir 300 Studenten. Ich saß also da und erwartete eine Vorlesung. Stattdessen kam ein Schwall an Fremdwörtern, die er über uns ausgoß. Zu schreiben, daß ich kein Wort verstanden hatte, würde wahrscheinlich nicht helfen. Ich überlegte, was ich tun sollte, scrollte dann das Vorlesungstranskript hoch zum Anfang der Vorlesung. Es war offensichtlich sehr sorgfältig erstellt und mit Zeichnungen versehen worden, nur half das nichts, denn es war absolut unverständlich. Ich fing beim ersten Satz an und fragte nach den vier unbekannten Wörtern, die ich in den zwanzig Wörtern fand. Die meisten anderen Wörter waren zu unbedeutend um mir irgendetwas über die Bedeutung des Satzes zu verraten und das schrieb ich auch hin. Dann knöpfte ich mir den nächsten Satz vor, der aus zehn Nebensätzen bestand und beschwerte mich, daß ich mit mehr als ein, zwei Nebensätzen nicht klarkomme. Danach fragte ich wieder nach einer Definition für jedes einzelne Fremdwort. Der Dozent vorne unterbrach sich und fing noch einmal von vorne an. Aus jedem Wort, nach dem ich gefragt hatte, machte er einen ganzen Absatz. Das Vorlesungsscript änderte sich entsprechend. Ich war verblüfft und las mir das Script durch, ob es jetzt verständlich war. Erstaunlich fand ich auch, wo er so schnell so viele neue Bilder gefunden hatte. Ich fing wieder von vorne an, fragte nach weiteren unklaren Stellen, bis ich jeden Satz verstanden hatte, jeden Satz den ich gelesen hatte, versteht sich, denn das Klingelzeichen ertönte lange bevor wir die Einleitung der Vorlesung durchgenommen hatten.
Der Dozent bedankte sich bei mir, schrieb, daß ich von allen Studenten im Saal die klarsten Fragen gestellt hatte und daß mir das als Studienleistung in interkultureller Diplomatie angerechnet würde.
Ich erzählte das einem meiner Mitstudenten, der wie ich ein Stipendium fürs Studium hatte und mich gefragt hatte, ob ich das verstanden habe.
"Du hast einfach so gefragt?" fragte er.
"Ja systematisch nach jedem Wort, das ich nicht kannte. Hast du denn nicht nachgefragt?"
"Ich habe schon geschrieben, daß ich nichts verstanden habe." antwortete er.
"Das reicht nicht. Du mußt ihm erklären, wo genau deine Verständnisprobleme liegen, damit er dir helfen kann." erklärte ich.
"Es wurde nachher aber schon verständlicher und er kann doch nicht jedem einzelnen von 300 Studenten antworten." antwortete er.
"Doch kann er. Ich bin im Palast aufgewachsen und habe Unterricht vom Palasttechniker bekommen. Als ich klein war habe ich einfach getan, was er gesagt hat und habe ihm den lieben langen Tag Fragen per Internetverbindung gestellt, wann immer ich am Laptop Hausaufgaben gemacht habe und das egal zu welchem Thema. Er hat mir meine Fragen immer richtig beantwortet und das haben auch sehr viele von meinen Freunden so gemacht. Nur wenn er länger unterwegs und nicht eingestöpselt war, hat das Palastgehirn Geron vom Silbersee übernommen und bei manchen Fragen habe ich später lieber Geron gefragt. Der hat die Dinge aus dem Geschichtsbuch halt teilweise selbst noch erlebt und kann sie ganz anders und viel interessanter erzählen. Als ich dann fast alt genug war, um die Uni zu besuchen, kam mir das dann komisch vor und ich habe den Palastechniker Tanan gefragt, wie viele Fragen er eigentlich auf einmal beantworten kann. Er sagte darauf, daß er über seinen Kabelanschluß schon an die hundert Fragen gleichzeitig bearbeiten kann. Ich verstehe immer noch nicht wie das geht, er meint aber, er ist auf Intelligenz gezüchtet und kann deshalb tatsächlich mehr Daten gleichzeitig verarbeiten." sagte Scherich aus dem dunklen Wald.
Das hatte mich neugierig gemacht und ich fragte Xitas LZB29-300-11, als ich Hausaufgaben machte, wie viele Fragen er eigentlich gleichzeitig beantworten konnte.
"So ungefähr 500." antwortete er.
Ich sagte, daß ich mir das überhaupt nicht vorstellen kann und fragte ihn, wie er das macht.
"Um dir das vorstellen zu können bräuchtest du mein Gehirn. Ich bin auch Intelligenz gezüchtet und dein Gehirn kann nicht nachmachen, was meins kann, deshalb verstehst du mich nicht, ohne daß ich mich besondere Mühe gebe, mich verständlich zu machen und dann ist das alles immer sehr vereinfacht. Außerdem brauche ich dabei Hilfe von jemandem wie dir, der mir sagt, wo genau ich vereinfachen muß." erklärte Xitas.
Ich unterhielt mich noch öfter mit Geron und Xitas. Sie stellte mich einigen der Techniker von der Zuchtstation vor. Außerdem zeigte er mir ein Diskussionsforum, in dem diese Zuchtmenschen diskutierten, wie sie Welt verbessern wollten.
Ich schloß also Freundschaften zu Zuchtmenschen und stellte fest, daß sich die als sehr wertvoll erwiesen. Es begann damit daß wenn ich irgendetwas im Studium nicht richtig verstanden hatte, erklärte mir irgendeiner von ihnen mal eben wie es ging, so daß es leicht war, gut im Studium zu sein. Auch meine Studienfachwahl ging auf diese Bekanntschaften zurück. Ich studierte nach dem Orientierungsjahr, in dem jeder Professor einen Vortrag für die neuen Studenten hielt, um sie dazu zu bewegen, sein Fach zu studieren, Psychologie, weil ich mich mit den Zuchtmenschen darüber geredet hatte, daß unsere Gesellschaft sehr krank ist und daß man ihre kranke Psychologie verstehen muß, um sie heilen zu können.
Außerdem konnte ich in diesem Forum beobachten, daß dort die gesellschaftlichen Änderungen zuerst diskutiert wurden, die dann nachher als Gesetze eingeführt wurden. Die Zuchtmenschen hatten offensichtlich einen erstaunlichen Einfluß auf das Königshaus, wie es der Adel nicht hatte.
Fortsetzung:
F2604. Silas aus dem Tal:
Ich kam also auf das Schiff und sollte LZB-Zuchtsklaven-Kinder beaufsichtigen, die als fertig ausgebildete Hilfstechniker mit Implantaten galten