Reinkarnationserinnerung - Ein Kriegerleben

FA10.

Kampfdenken

Es war wieder einmal eine überlange Kampfübung, die über mehr als einen Tag ging. Schara war am zweiten Nachmittag meine Gegnerin. Ich bemerkte, daß sie den Kampf wieder mit Spott und Scherzen würzte, wie das auch früher ihre Art gewesen war und daß sie immer wieder mit ihrem Schwert beide Waffen gleichzeitig blockierte, die ich in der Hand hatte. Ich war zu müde, um auf ihre Scherze zu antworten und brauchte meine ganze Konzentration, um mit ihrer fremdartigen Technik zurechtzukommen. Ich hatte zu dieser tiefen, inneren Ruhe gefunden, bei der man die Bewegungen der Gegnerin als ein kompliziertes, interessantes Muster wahrnimmt, das Zeit und Raum durchzieht, dieser Zustand, bei dem es weder Vergangenheit, noch Zukunft gibt, nur ewige, verzaubert schöne Gegenwart. Meine und Scharas Schritte verwoben sich zu einem rätselhaft schönen Tanz, der die ganze Welt zu enthalten schien. Ihre Worte verstummten, machten einem unirdischen Lächeln Platz, das sich auch in mir widerspiegelte, und wir wurden ganz eins. Man kann es nicht in Worten wiedergeben.

Plötzlich gaben meine Beine unter mir nach und rissen mich aus dieser Harmonie. Scharas Schwert folgte meinem Sturz und schlug mich mit der flachen Klinge, dann erst registrierte sie, daß ich mich nicht wieder auf die Beine rollte. Verwirrt und desorientiert, blieb sie mit erhobener Waffe über mir stehen. Ich sah sie ruhig und gedankenverloren an. Karim der Kampfwächter kam heran und fragte voll Angst:
"Rundon, was ist? Warum stehst du nicht wieder auf?"
Ich versuchte den Arm zu heben, doch nichts geschah. Nur wer das selbst einmal erlebt hat, kann ermessen, was es für ein Gefühl ist, wenn der eigene Körper nicht auf die Bewegungen reagiert, die man auszuführen glaubt. Ich spürte Scharas Angst um mich, die ganz im Gegensatz zu ihrer ruhigen Stimme stand, als sie befahl:
"Karim, hol den Anführer und die Heilerin. Damit kommen wir nicht alleine zurecht."
Sie kniete neben mir nieder, fühlte kurz meinen Puls. Er muß wohl in Ordnung gewesen sein. Dann nahm sie einige warme Decken aus einer Ecke des Zimmers und deckte mich sorgfältig zu. Ich hatte keine Angst, sondern beobachtete ihre Schritte nur mit einer seltsamen, teilnahmslosen Ruhe, als hätte das nichts mit mir zu tun.

Nach einiger Zeit kam Toris, der Anführer herein und kniete neben mir nieder.
"Er hat den Kontakt zu seinem Körper verloren." sagte er, schloß die Augen und legte seine Hände konzentriert auf verschiedene Stellen meines Körpers.
Ich sah warmes, heilendes Licht von ihn zu mir strömen und begann mich langsam wieder mehr wie ich selbst zu fühlen. Ich registrierte, wie die Heilerin hereinkam und schweigend wieder ging.

Nach einer Weile trat Toris zurück und sagte Schara:
"Du hast gesehen, was ich gemacht habe?"
Schara nickte ernst.
"Dann komm her. Schließ deine Augen und halte deine Hände über seinen Körper. Konzentrier dich wie im Kampf. Ja, so. Fühl dich in Rundon hinein und versuch zu erspüren, wo du deine Hände hinhalten mußt."
Schara kniete neben mir nieder und führte konzentriert seine mit halblauter Stimme gegebenen Anweisungen aus.
"Was spürst du?" fragte Toris.
Als sie anwortete, klang Scharas Stimme ruhig und irgendwie realer als der Raum, in dem sie sich befand.
"Meine Hände kribbeln... Sie werden an eine Stelle über dem Bauch gezogen. Meine ganze Kraft fließt zu Rundon."
Toris redete wieder:
"Dann geh mit deinen Händen dorthin. Keine Angst, es bleibt genug Kraft für dich. Laß die Energie(VA180. Definition Eso) fließen. Jetzt stell dir eine Verbindung vor, die tief in die Erde reicht. Kannst du sie fühlen?"
"Ja."
"Bitte um Kraft."
"Ja. Ich spüre sie durch mich hindurchfließen. Es fühlt sich richtig an." sagte Schara und arbeitete dann lange mit geschlossenene Augen weiter.

Sie begann zu lächeln. Ich fühlte mich langsam wärmer, behaglicher. Mein Bedürfnis nach Energie ließ nach, der Fluß kam ins Stocken, versiegte. Schara öffnete die Augen und sagte leise:
"Ich glaube ich bin fertig."
"Gut. Dann steh auf, Rundon." befahl Toris.
Ich reagierte nicht.
"Gib ihm eine Ohrfeige, Schara." befahl der Anführer.
Schara sah ihn erstaunt und fragend an.
"Es hilft ihm, wieder mit seinem Körper in Kontakt zu kommen." erklärte Toris.
Schara gab mir eine leichte Ohrfeige, wunderte sich, daß ich nicht zusammenzuckte und schlug dann mehrfach zu, so fest sie konnte. Erst die drittte oder vierte Ohrfeige nahm ich als ein leichtes Brennen wahr. Ich versuchte den Kopf zur Seite zu drehen, damit mich ihre Schläge nicht mehr treffen konnten, doch er gehorchte mir erst mit eingen Sekunden Verzögerung.

"Steh endlich auf, Rundon." sagte Schara eindringlich.
Langsam bekam sie echte Angst um mich. Ich bekam ein Nicken zustande. Ich brauchte meinen ganzen Willen und meine ganze Konzentration, um meine Beine dazu zu bewegen, daß sie mich hochstemmten. Immer wieder geschah es, daß sie die Bewegungen, die ich zu machen glaubte, einfach nicht mitmachten, sondern blieben, wo sie waren. Ich hatte das Gefühl, ich würde schwanken, wie eine Weide im Sturm, als ich schließlich stand. Die beiden anderen redeten ständig auf mich ein und zwangen mich, auf und ab zu gehen, bis die Heilerin mit einer Schale heißer Suppe zurückkehrte.

Zuerst wollte ich lachen, als ich sah, wie sie die Temperatur mit dem Finger prüfte. Dann wurde mir klar, daß ich es wahrscheinlich nicht gemerkt hätte, wenn es kochendes Wasser gewesen wäre. Zuerst fühlte ich nichts in meinem Mund. Ganz allmählich begann ich zu spüren, daß da etwas geschah. Ich bemerkte, daß ich automatisch kaute und schluckte. Ich fühlte Brocken und Flüssigkeit. Ich begann zu schmecken. Zuerst war mir das einfach lästig. In dem abwesenden Zustand vorher hatte es keine Angst, kein Zittern, keine schmerzenden Knochen, keine Erschöpfung gegeben. Alles erschien mir hart, unangenehm und lästig. Ganz allmählich kehrte ich zurück zu meinen normalen Empfinden für Realität. In dem Maße, wie ich das tat, erwachte ein panisches Entsetzen über die Fremdartigkeit der durchgemachten Erfahrung in mir. Ich konnte es nicht ertragen, in einen dunklen Winkel zu schauen, konzentrierte mich auf die Rauhigkeit der Decke, die Schmerzen und alles Unangenehme. Einfach, weil diese Dinge ganz enschieden nicht zu diesem unwirklichen Zustand gehörten, in den ich geraten war.

In den nächsten Tagen hatte ich vor jeder der kurzen Kampfübungen Angst, weil ich fürchtete, ich könnte wieder in diesen fremdartigen Zustand geraten. Schließlich wendete ich mich eines Abends an unseren Anführer Toris:
"Toris, ich habe Angst. Ich hätte doch vor einigen Tagen in diesem Kampf sterben können, oder?"
"Das stimmt. Es hätte nicht viel gefehlt. Das, was du gemacht hast, nennt man Kampfdenken. Du kannst in diesem Zustand doppelt so schnell reagieren wie normal und kämpfen, bis du vor Erschöpfung tot umfällst. In einer Übung ist das gefährlich. In einem Kampf kann es dir das Leben retten, daß du ausdauernder bist als deine Gegner." antwortete Toris.
"Lernt jeder Krieger das?" fragte ich.
"Nein", antwortete Toris, "die meisten Kinder des Kriegerdorfes werden zu Kriegern, weil wir ihnen keine andere Wahl lassen. Sie haben eine mittelmäßige oder geringe Begabung zum kämpfen. Ganz wenige tragen die Gaben in sich, von ganzem Herzen, mit ganzer Seele Krieger sein zu können. Dennoch erziehen wir jedes Kind in diesem Dorf so sehr zum Krieger oder zur Kriegerin, daß sie keine andere Art zu leben wissen, als hier Wache zu halten. Wir nehmen unseren Kindern die Freiheit, ihre Fähigkeiten verwirklichen zu dürfen." erklärte Toris seltsam hart.
"Aber wir sind doch glücklich dabei." widersprach ich verwirrt.
"Freiheit ist ein hohes Gut." antwortete Toris in einem so strengen Tonfall, daß ich ihn nur noch verwirrt ansah. Dann fuhr er weicher und traurig fort: "Eine Lösung weiß ich auch nicht. Wir brauchen so viele Krieger, wie wir ausbilden können. Wenn wir unseren Kindern eine Wahl ließen, gäbe es unser Dorf schon lange nicht mehr."
"Du stellst alles in Frage", stellte ich fest, "unser ganzes Leben. So etwas habe ich noch nie gehört."
"Ja. Auch deine Mutter denkt so. Nur hat sie nie mit dir darüber gesprochen. Du solltest darüber nachdenken. Nach mir wird wahrscheinlich deine Mutter Anführerin. Und danach Schara oder du. Die Erwachsenen hören schon jetzt manchmal auf euch."
"Aber solange du lebst wird doch niemand einen anderen Anführer haben wollen, als dich, Toris." protestierte ich.
"Ich bin alt. Mein Körper gehorcht mir nicht mehr wie früher. Wahrscheinlich werde ich den nächsten Kampf nicht überleben." erklärte Toris ruhig.
Ich begriff, daß er recht hatte und sagte:
"Ich werde dich vermissen, Toris."
Er warf mir einen seltsamen, ernsten, ruhigen, nachdenklichen Blick zu, der aus weiter Ferne zu kommen schien, dann legte sich ein liebes, humorvolles Lächeln darüber, das ganz gegenwärtig und fröhlich war, er stand geschmeidig auf legte kurz seine Hand auf meine Schulter und sagte:
"Es ist Zeit. Laß uns zum Versammlungsfeuer gehen und über weniger tödliche Dinge sprechen."
In der Versammlungshalle setzte ich mich direkt neben Toris und legte meinen Kopf auf seinen Schoß. Ich war den ganzen Abend schweigsam und in mich gekehrt und genoß die Nähe des freundlichen, alten Mannes, der mir von Zeit zu Zeit übers Haar strich. Toris war mir immer unsterblich vorgekommen.

Kersti


FA11. Kersti: Fortsetzung: Erwachsen
FA09. Kersti: Voriges: Bauernfreundschaft
FAI. Kersti: Inhaltsübersicht: Ein Kriegerleben
FA1. Kersti: Zum Anfang: Mein erster Kampf
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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