Reinkarnationserinnerung - Helden leiden länger

FB10.

Gefährliche Freiheit

Zwei Gardisten kamen in mein Büro.
"Was ist los? Ihr seid gerade jetzt als persönliche Wache des Königs eingeteilt." fragte ich.
"Der Herr hat uns weggeschickt. Er will etwas tun, wofür er alleine sein muß."
"Wo ist er?" fragte ich.
"Im Biergarten von Ailis." antwortete der eine.
Zumindest das hatten sie herausgefunden. Es hatte keinen Sinn, den Männern Vorwürfe zu machen. Sie hätten einen klaren Befehl des Königs wohl kaum verweigern können. Aber ich würde ihn nicht alleine dorthingehen lassen.

Meine wichtigste Aufgabe war die Sicherheit meines Königs. Und gerade jetzt war ich wieder einmal überzeugt, daß er doch eine weise Entscheidung getroffen hatte, als er mir diese Aufgabe übertrug. Ich war sein Freund - und deshalb würde er mir nicht gleich den Kopf abreißen, wenn ich ihm gegen seinen ausdrücklichen Befehl folgte. Wenn er in den Biergarten ging, dann wollte er sich wohl mit jemandem treffen. Und Gott allein wußte mit wem oder ob er damit in eine Falle gelockt werden sollte.

Ich nahm mir noch die Zeit, meine Uniformjacke mit einem einfachen Mantel zu vertauschen, der mich aussehen lassen würde wie ein Bauer. Falls es keine Falle war, mochte es wichtig sein, daß mich niemand als Gardist erkannte - dann ging ich zu der Gastwirtschaft, wo mein König sein sollte.

In der Tür hielt ich inne und schaute mich um. Der König saß am Tisch in der Ecke und war ebenfalls als Bauer verkleidet. Ich kannte diese Sachen, denn wir waren schon öfters in dieser Verkleidung in die Stadt gegangen. Im Augenblick saß er noch alleine am Tisch und sah nicht in meine Richtung - sonst hätte er mich erkannt. Ich setzte mich an einen Tisch in der Nähe und bat die Bedienung mir statt dem Bier, das ich bezahlte, Wasser zu bringen. Wir kannten uns und sie würde dichthalten. Selbst gegenüber dem König.

Im Grunde verstand ich meinen König. Er fühlte sich wie ein Tier im Käfig, weil ich darauf bestand, daß er absolut immer von mindestens zehn Gardisten begleitet wurde. Und er war erst 18, jung genug um dagegen zu rebellieren. - Obwohl sein Vater durch ein Attentat ums Leben gekommen war und er es eigentlich besser wußte.

Immerhin hatte ich mir das Problem auch teilweise selbst zuzuschreiben. Ich war schließlich derjenige, der ihm, als er noch keine zehn Jahre alt war, eine einfache Wachuniform besorgt hatte. Und ich hatte ihn überredet, an den Freizeitbeschäftigungen der jungen Gardisten teilzunehmen. Damals war ich vierzehn. Ich hatte ihn auch an den kleinen Hof meiner Eltern mitgeschleppt, ohne zu verraten, daß mein Freund nicht ein einfacher Kadett war wie ich sondern ein Prinz. Und nur dadurch war ihm bewußt geworden, wieviel freier als er die Bauernjungen aufwuchsen. Und daß Reichtum diese Freiheit niemals aufwiegen konnte. Nur dadurch hatte er gelernt wie Bauern denken, wie sie miteinander umgehen, was für ihr Leben wichtig, was unwichtig ist. Und genau dieses Wissen machte ihn zu einem guten König.

Aber gerade jetzt fragte ich mich wieder, ob es nicht besser gewesen wäre, ihm nicht dermaßen deutlich zu zeigen, daß er in einem goldenen Käfig lebte.

Ein Fremder setzte sich zu meinem König und sprach ihn an. Der König begrüßte ihn und eine Weile redeten sie so leise miteinander, daß ich nicht viel verstand. Das war auch nicht wichtig, denn ich wollte ihm ja nicht nachspionieren, sondern ihn beschützen.

Dann plötzlich wechselte der Tonfall. Die Stimme des Fremden war immer noch leise - aber kalt und drohend. Und mein König fuhr hoch und legte verärgert seine Hand auf den unter seinem Mantel verborgenen Schwertgriff. Dann erklang ein scharfer Befehl und an den umliegenden Tischen sprangen zehn Bewaffnete auf und griffen ihn an. In dem Augenblick wurde mir bewußt, daß ich einen Fehler gemacht hatte. Ich hätte zehn Gardisten mitnehmen sollen. Dazu war es jetzt zu spät. Immerhin, ich hatte meinen Platz gut gewählt. Ich sprang auf und stand zwischen ihnen und meinem König. Die ersten beiden waren tot, bevor sie sich bewußt wurden, daß ich kämpfen würde. Zwei weitere fanden ihr inneres Gleichgewicht nicht schnell genug wieder, um meine Schläge abzuwehren und waren deshalb ebenfalls tot, bevor sie reagieren konnten. Der fünfte griff mich von der Seite an und traf meinen linken Arm, bevor mein Schwert ihn tötete. Dann war der König an meiner Seite. Ich habe nur noch verschwommene Erinnerungen an den Rest des Kampfes. An Hiebe, und Paraden, daran wie sie einer nach dem anderen unter meinen Schlägen fielen und ich schließlich alleine mitten unter den Leichen der Angreifer stand.

Einige Sekunden stand ich einfach nur unbeweglich mit dem Schwert in der Hand da, als kein weiterer Angreifer mehr kam. Dann wurde mir bewußt, daß Stille herrschte - und niemand sich um die Dinge kümmerte, die jetzt erledigt werden mußten. Ich sah mich um und entdeckte einen Palastbediensteten.
"Pern - du gehst zum Palast und schickst den Arzt - er soll eine Bahre mitbringen. Und wenn du reinkommst, sag der Torwache sie sollen sofort 10 Mann hierherschicken."
Der Mann - ein Koch - nickte und lief los. Ich wußte, ich würde die Bahre brauchen. Ich verlor zu viel Blut. Wahrscheinlich würde ich nicht bei Bewußtsein bleiben, bis der Arzt kam.
"Und ich brauche jetzt einen Arzt. Wer kann meinen Arm verbinden? Ach so und Wasser zum Trinken."
Ich dachte an die Bemerkung des Arztes, daß Trinken wichtig sei. Erst da fiel mir auf, daß ich das Schwert immer noch zum Schlag bereit in der Hand hielt. Ich lächelte über mich selbst und steckte es weg. Jemand stand auf und kam herüber. Es war eine Hebamme der einfachen Leute. Die Bedienung brachte sauberes Leinen und ich ließ hielt still, während sie die Blutung stillten. An mehr kann ich mich nicht erinnern.

Der junge König starrte seinen Gardehauptmann an und war von brennender Scham erfüllt. Die Verletzung an seinem Arm war schlimm. Mit Sicherheit würde der Arzt ihm den Arm abnehmen müssen und sehr wahrscheinlich würde der Gardehauptmann an seinen Verletzungen sterben. Und es war die Schuld des Königs, daß es so weit gekommen war. Der Gardehauptmann hatte ihn immer wieder vor solchen Listen gewarnt und wenn darauf gehört hätte, wären jetzt genug Gardisten anwesend gewesen, um ihn zu verteidigen. Und zu allem Überfluß stand er auch noch nutzlos hier herum, während der schwer verletzte Gardehauptmann sich selbst um einen Arzt und Verstärkung kümmern mußte. Sogar an so nebensichtliche Dinge, wie daß er trinken mußte, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen, hatte er gedacht.

Der König fand, er hätte es verdient, wenn sein Gardehauptmann ihn jetzt dafür hassen würde. Als die Frauen die Blutung gestillt hatten berührte er leicht die Schulter des Hauptmanns - und der schaute zu ihm auf und lächelte einfach nur. Es war ein fröhliches, liebevolles Lächeln, so wie er immer gelächelt hatte, wenn er sich freute, ihn, seinen König und Freund zu sehen. Und der junge König fand, daß er ein solches Lächeln nicht verdient hatte. Er trat neben den Stuhl, auf dem der Verletzte saß und der Haupmann lehnte sich müde an ihn, schloß die Augen. Daran, wie sich die Muskeln entspannten und der Atem ruhiger wurde, merkte der König, daß er die Besinnung verloren hatte.

Kersti


FB11. Kersti: Fortsetzung: Du bist mir etwas mehr wert als mein Arm
FB9. Kersti: Voriges: Eine Lektion in Respekt
FBI. Kersti: Inhaltsübersicht: Helden leiden länger
FB1. Kersti: Zum Anfang: Das Attentat
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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