Am Kloster war der wachhabende Mönch über meine Ankunft
sichtlich überrascht. Er rief den Bruder des Königs, der sofort
kam und mich fragte, ob ich noch nicht genug von dem Versuch hätte,
mich durch reiten umzubringen.
"Ich bin kein Risiko eingegangen. Ich überlege eigentlich schon
seit einer Woche, daß ich hierher reiten will. Ab er ich habe
vorher noch überprüft, ob ich es wirklich körperlich
verkraften würde." antwortete ich.
"Aus Schaden wird man klug, wie?"
"Ich hatte es eigentlich schon vor dem Ritt gewußt. Ich glaube,
ich habe noch nie etwas so Verrücktes getan." antwortete
ich.
"Mein Bruder hat mir erzählt - als er sich gerade mal wieder
bitter darüber beschwert hat, daß du ihn nie ohne Leibwache
losziehen läßt - daß ihr beide alleine hunderte von
Ausflügen unternommen habt."
"Ich gebe zu, das war verrückt. Aber da wußte ich nicht,
daß es verrückt war. Bei dem Ritt zur Hochzeit wußte
ich ganz genau, daß ich mich damit umbringen könnte und ich
habe es trotzdem gemacht. Und ich habe in meinem ganzen Leben noch
nichts getan, von dem ich wußte, das es verrückt war."
"Nicht? Ich schon. Nachdem mein Vater mich hierhergeschickt hat, habe
ich ständig Dinge getan, die so gefährlich waren, daß
ich davon hätte sterben können. Und ich wußte daß
das verrückt war, aber es war mir egal. Wenn der damalige Abt mich
nicht regelmäßig mit einer Tracht Prügel ins Bett
gesteckt hätte, hätte ich wohl das erste Jahr hier nicht
überlebt.
Erst nach dem Attentat ist mir klar geworden, daß mein Vater
eigentlich eine ziemlich weise Entscheidung getroffen hat, als er mich
hierherschickte, weil er merkte, daß ich das Kadettentraining in
seinem Hof körperlich nicht verkraften konnte. Er konnte weit genug
über seinen Schatten springen, um mich hierherzuschicken, wo ich
gesund alt werden konnte, aber nicht weit genug, um sich wirklich damit
abzufinden, daß ich nicht gesund genug war, um der Sohn und Erbe
zu sein, den er sich gewünscht hätte. Mein Herz war zu schwach
dazu."
"Ich glaube, ich bin einfach zu klug, um mir so viel Unvernunft
leisten zu können. Mich hätte der Abt bei solchen Dummheiten
vermutlich nicht erwischt, genausowenig, wie meine geheimen Ausflüge
mit Geron von irgendjemanden bemerkt wurden."
"Du sagtest irgendwann, die Möglichkeit sich in seinen
verrückten fünf Minuten hemmungslos austoben zu dürfen,
ist es nicht wert, dafür sterben zu müssen."
"Ja. Und der Meinung bin ich immer noch. Die anderen haben nach
Kräften versucht, mich an diesem Ritt zu hindern und sie haben es
nicht geschafft. Ich fürchte, ich bin so klug, daß ich es mir
nicht leisten kann, mal meine verrückten Minuten zu haben."
antwortete ich.
"Da ist was dran. Und du hast es eigentlich immer gewußt
wie?"
"Ja."
"Und deshalb hast du es dir nach deiner Verletzung am Arm nicht
erlaubt, dich so gehenzulassen wie dein Bruder."
"Ja."
"Und die nächste Verletzung war dann einfach zu viel."
"Ja."
"Aber du hast dich inzwischen wieder gefangen."
"Ich hatte genug Zeit um mich zu fangen. In dem Sinne war es wohl
ganz gut, daß ich mich nach dem Ritt monatelang kaum rühren
konnte. Ich hatte Zeit genug, mich mit den Tatsachen abzufinden und mir
zu überlegen, was ich jetzt mit meinem Leben mache, bevor ich
wieder zu einer Verrücktheit fähig gewesen wäre."
antwortete ich.
"Das müssen bestialische Schmerzen gewesen sein."
"Vor der zweiten Verletzung hätte ich mir nie vorstellen
können, daß es solche Schmerzen überhaupt gibt. Dennoch
war das nicht mein eigentliches Problem. Zu Schmerzen kann ich notfalls
Abstand nehmen. Zu meinen Gefühlen nicht."
"Und was machst du jetzt mit deinem Leben?"
"Ich werde Arzt."
"Aber der Leibarzt würde nie einen so alten Mann
ausbilden."
"Doch. Er weiß nur nicht, daß er es gerade tut. Er
bemüht sich doch immer so sehr darum, daß niemand sich
nutzlos vorkommt. Und er kennt es ja von mir, daß ich ihm
ständig Löcher in den Bauch frage." erklärte ich.
"Und du meinst daß das funktioniert?"
"Nur wenn du es ihm nicht verrätst."
Ich lächelte. Er auch:
"Du verrückter Hund!"
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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