Reinkarnationserinnerung - Helden leiden länger

FB24.

"Ich habe noch nie etwas so verrücktes getan."

Als ich wieder aufstehen konnte, war ich sehr vorsichtig und versuchte möglichst genau herauszubekommen, was ich meinem Körper noch zumuten konnte, ohne ihn zu überfordern. Er war kläglich wenig. Viel weniger als vor dem Ritt zur Hochzeit. Mit dieser Schnapsidee hatte ich mir viel kaputtgemacht im Leben. Nach einer Woche kam ich immerhin zu dem Ergebnis, daß ich es verkraften würde, den Bruder des Königs im Kloster zu besuchen. Also ließ ich mein Pferd satteln - früher hatte ich das immer selber gemacht, aber jetzt erforderte es zu viel Kraft, um für meine Verletzung ungefährlich zu sein - und ritt los. Der Weg war nicht weit und reiten würde meinen Bauch mehr schonen als gehen.

Am Kloster war der wachhabende Mönch über meine Ankunft sichtlich überrascht. Er rief den Bruder des Königs, der sofort kam und mich fragte, ob ich noch nicht genug von dem Versuch hätte, mich durch reiten umzubringen.
"Ich bin kein Risiko eingegangen. Ich überlege eigentlich schon seit einer Woche, daß ich hierher reiten will. Ab er ich habe vorher noch überprüft, ob ich es wirklich körperlich verkraften würde." antwortete ich.
"Aus Schaden wird man klug, wie?"
"Ich hatte es eigentlich schon vor dem Ritt gewußt. Ich glaube, ich habe noch nie etwas so Verrücktes getan." antwortete ich.
"Mein Bruder hat mir erzählt - als er sich gerade mal wieder bitter darüber beschwert hat, daß du ihn nie ohne Leibwache losziehen läßt - daß ihr beide alleine hunderte von Ausflügen unternommen habt."
"Ich gebe zu, das war verrückt. Aber da wußte ich nicht, daß es verrückt war. Bei dem Ritt zur Hochzeit wußte ich ganz genau, daß ich mich damit umbringen könnte und ich habe es trotzdem gemacht. Und ich habe in meinem ganzen Leben noch nichts getan, von dem ich wußte, das es verrückt war."
"Nicht? Ich schon. Nachdem mein Vater mich hierhergeschickt hat, habe ich ständig Dinge getan, die so gefährlich waren, daß ich davon hätte sterben können. Und ich wußte daß das verrückt war, aber es war mir egal. Wenn der damalige Abt mich nicht regelmäßig mit einer Tracht Prügel ins Bett gesteckt hätte, hätte ich wohl das erste Jahr hier nicht überlebt. Erst nach dem Attentat ist mir klar geworden, daß mein Vater eigentlich eine ziemlich weise Entscheidung getroffen hat, als er mich hierherschickte, weil er merkte, daß ich das Kadettentraining in seinem Hof körperlich nicht verkraften konnte. Er konnte weit genug über seinen Schatten springen, um mich hierherzuschicken, wo ich gesund alt werden konnte, aber nicht weit genug, um sich wirklich damit abzufinden, daß ich nicht gesund genug war, um der Sohn und Erbe zu sein, den er sich gewünscht hätte. Mein Herz war zu schwach dazu."
"Ich glaube, ich bin einfach zu klug, um mir so viel Unvernunft leisten zu können. Mich hätte der Abt bei solchen Dummheiten vermutlich nicht erwischt, genausowenig, wie meine geheimen Ausflüge mit Geron von irgendjemanden bemerkt wurden."
"Du sagtest irgendwann, die Möglichkeit sich in seinen verrückten fünf Minuten hemmungslos austoben zu dürfen, ist es nicht wert, dafür sterben zu müssen."
"Ja. Und der Meinung bin ich immer noch. Die anderen haben nach Kräften versucht, mich an diesem Ritt zu hindern und sie haben es nicht geschafft. Ich fürchte, ich bin so klug, daß ich es mir nicht leisten kann, mal meine verrückten Minuten zu haben." antwortete ich.
"Da ist was dran. Und du hast es eigentlich immer gewußt wie?"
"Ja."
"Und deshalb hast du es dir nach deiner Verletzung am Arm nicht erlaubt, dich so gehenzulassen wie dein Bruder."
"Ja."
"Und die nächste Verletzung war dann einfach zu viel."
"Ja."
"Aber du hast dich inzwischen wieder gefangen."
"Ich hatte genug Zeit um mich zu fangen. In dem Sinne war es wohl ganz gut, daß ich mich nach dem Ritt monatelang kaum rühren konnte. Ich hatte Zeit genug, mich mit den Tatsachen abzufinden und mir zu überlegen, was ich jetzt mit meinem Leben mache, bevor ich wieder zu einer Verrücktheit fähig gewesen wäre." antwortete ich.
"Das müssen bestialische Schmerzen gewesen sein."
"Vor der zweiten Verletzung hätte ich mir nie vorstellen können, daß es solche Schmerzen überhaupt gibt. Dennoch war das nicht mein eigentliches Problem. Zu Schmerzen kann ich notfalls Abstand nehmen. Zu meinen Gefühlen nicht."
"Und was machst du jetzt mit deinem Leben?"
"Ich werde Arzt."
"Aber der Leibarzt würde nie einen so alten Mann ausbilden."
"Doch. Er weiß nur nicht, daß er es gerade tut. Er bemüht sich doch immer so sehr darum, daß niemand sich nutzlos vorkommt. Und er kennt es ja von mir, daß ich ihm ständig Löcher in den Bauch frage." erklärte ich.
"Und du meinst daß das funktioniert?"
"Nur wenn du es ihm nicht verrätst."
Ich lächelte. Er auch:
"Du verrückter Hund!"

Kersti


FB25. Kersti: Fortsetzung: Jahre...
FB23. Kersti: Voriges: "Worüber lächelst du?"
FBI. Kersti: Inhaltsübersicht: Helden leiden länger
FB1. Kersti: Zum Anfang: Das Attentat
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
Sonstiges
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