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Bei lebendigem Leibe

Ich erwachte schockartig von einem lauten Drachenschrei und dem Gefühl, als würde mir bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen. Zuerst ein Schnitt den Rücken hinunter, dann wurde sie zuerst von Kopf, Flügeln und Schwanz und nachher von Armen und Beinen abgelöst und schließlich vom Bauch. Plötzlich brach der Schmerz abrupt ab und ich wurde endlich richtig wach ... nein, das waren nicht meine Schmerzen sondern die eines Drachen - und Gott sei Dank war es nicht Khaer, der bei lebendigem Leibe gehäutet wurde. Der Schmerz mußte über Khaers telepathische Verbindung zu anderen Drachen auf mich übertragen worden sein.

Vorsichtig berührte ich Khaers Geist. Er war ganz in sich zurückgezogen und wimmerte voller Qual vor sich hin. Ich ertastete, ob er noch Verbindung zum telepathischen Drachennetz hatte, doch die bestand nicht. Das war kein gesunder Zustand für einen Drachen, aber noch mehr solche Qual miterleben, wäre für ihn zweifellos zu viel.

Ich versuchte ihm ein Gefühl von Ruhe und Frieden zukommen zu lassen, ihn zu trösten. Doch er schien es nicht einmal wahrzunehmen. Er lag nur flach am Boden und in regelmäßigen Abständen lief ein Zittern über seinen Körper.

Ich konnte den Rest der Nacht nicht mehr schlafen, versuchte nur irgendwie ihn zu erreichen und ihm den Trost zukommen zu lassen, den er so dringend brauchte.

Bevor die Sonne aufging, kam ein großes Schiff, beschoss ihn mit Lähmstrahlen, und ich bekam eine so große Dosis, des eigentlich für den Drachen gedachten Schusses ab, daß ich beinahe erstickt wäre, weil das Zwerchfell sich kaum noch bewegte. Das Bewußtsein betäubten die Strahler allerdings nicht. Der Drache erwachte davon augenblicklich vollständig und dachte nur eines:
"Ich Narr!" dann wandte er sich an mich und dachte mir zu: "Mach nicht denselben Fehler wie ich, bleib wach und kämpfe für dein Überleben, solange noch Zeit dazu ist."
Dann wurde ich aus dem Geschirr geholt und zur Seite gelegt.

Sie nahmen ein mehrere Meter langes Lasermesser und schnitten damit die Haut am Rücken meines Drachen bis zu den Muskeln hinunter auf. Vom Kopf bis zur Schwanzspitze. Grünes und rotes Blut aus den beiden getrennten Blutkreisläufen des Drachen besudelte die Arbeiter. Als der Schnitt über den gesamten Rücken bis zum Ansatz des Schwanzes reichte, arbeiteten sie sich zur Seite hin vor. Das Blut wurde in einen bereitstehenden Behälter gepumpt, damit die Männer nicht darin ertranken, denn die Drachenhaut war am Rücken fünf Meter dick. Arme, Flügel und Beine wurden am Ansatz abgeschnitten - sie bestanden ja weitgehend aus Muskeln, die durch Gasgefüllte Chitinblasenkonstruktionen im Innern versteift wurden, die die Funktion von Knochen übernahmen. Diese Knochen waren wesenlich leichter als Holz und nur wenig schwerer als Luft, da das in ihnen enthaltene Gas leichter war als Luft. Langsam arbeiteten sie sich zum Bauch vor, wo sie schließlich am Bauchmark von beiden Seiten wieder zusammentrafen. Danach arbeiteten sie sich das Schwanzglied entlang nach hinten vor. Schließlich lag der jämmerlich magere Drachenkörper ohne Arme, Beine und Flügel mitten auf der von ihm abgeschälten Haut. Danach wurden die Muskeln abgeschält. Und als sie damit fertig waren, ließ die Wirkung der Lähmstrahlen nach, nur daß es nichts mehr brachte, denn der Drache konnte sich sowieso kaum noch rühren.

Ich lag die ganze Zeit daneben, fühlte die rasenden Schmerzen mit und konnte nichts tun. Nicht einmal reden konnte ich, um sie umzustimmen. Zu dem Zeitpunkt wollte ich am liebsten sterben. Aber ich bekam gerade so viel Luft, daß mir das nicht vergönnt war. Auch meine Betäubung ließ langsam nach und ich rappelte mich auf die Knie auf - hauptsächlich weil mein Drache mich drängte, mich zusammenzureißen, damit sie mich nicht so gefesselt für tot liegenließen, bis die wilden Tiere kämen um mich zu fressen. Aus mir selbst heraus hätte ich dazu keinen Antrieb gefunden, und es war mir auch unbegreiflich, woher er die seelische Kraft nahm, um noch Gedanken für meine Probleme übrig zu haben, bei diesen Schmerzen. Gerne hätte ich die Männer angefleht, meinen Drachen am Leben zu lassen - doch ganz gleich was sie täten, ohne seine Haut und das grüne Blut darin würde er verhungern und ersticken, denn der größte Teil des von ihm benötigten Sauerstoffes und Zuckers stellte er selbst her. Und ich kniete am Boden, litt mit ihm mit, und wünschte nur, es wäre endlich vorbei - doch es dauerte drei Tage, bis der Drache schließlich endgültig tot war. Danach fiel ich in einen Komaartigen Schlaf aus Erschöpfung, weil ich die ganzen drei Tage nicht hatte schlafen können.

Die Tage danach vergingen wie im Nebel. Ich wurde in einer Zelle gehalten. Niemand schien sich darum zu kümmern ob ich lebte oder starb, aber ich spürte, daß ich beobachtet wurde. Und doch brachte ich nicht die Energie auf, aufzustehen und auch nur etwas zu trinken. Denn der innere Schmerz und die Erinnerungen an das Sterben meines Drachen waren stärker als Hunger und Durst.

Das eigentliche Gehirn des Drachen findet sich im Bauchmark, während das Gehirn im Kopf nur das Sehzentrum des Nervensystems enthält. Geruch wird über die gesamte Hautoberfläche des Drachen wahrgenommen, Geräusche über einige verkümmerte Teile des Systems, was bei Insekten zum Atmen dient, während Drachen nur bis zum Schlüpfen damit atmen, in der ersten Zeit Kindheit fehlenden Sauerstoff über die Hautadern aufnehmen, die zu der Zeit noch mit rotem Blut gefüllt sind. Daher sind frisch geschlüpfte Drachen rot. Danach trennen sich allmählich beide Adersysteme und die Hautadern werden von Blaualgen besiedelt, die bewirken, daß die Farbe der Drachen zuerst braun und nachdem aus den äußeren Adern die roten Blutkörperchen völlig verschwunden sind grasgrün aussehen. Danach enthält die Haut der Drachen mit jedem Jahr mehr Gas, so daß ein voll ausgewachsener Drache schließlich golden und im Alter silbern schimmert.

Kersti


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