FC7.

Trunkenbolde

Am Abend wurde ich durch lautes Gepoltere aus dem Schlaf gerissen. Die Tür öffnete sich, zwei Besoffene kamen hereingepoltert und einer fragte seinen Partner:
"Wie machen wir es diesmal?"
Ich sprang aus dem Bett, weil ich darauf verzichten konnte, das herauszufinden und begrüßte sie herzlich, was sie mit einem absolut verblüfften Gesichtsausdruck quittierten. Das hatte ich ja auch erreichen wollen.
"Und - haben sie alle getrunken?" fragte ich.
"Äh - ja."
"Gut. Wirklich jeder einzelne, oder gibt es noch jemanden, den wir dazu zwingen müssen?"
"Ja. Jeder einzelne."
"Sehr gut. Dann seid ihr besser als ich gestern. Wie haben sie reagiert?"
"Ganz komisch - die kann man verprügeln und sie reagieren kaum. Aber einer hat einen richtigen Wutanfall bekommen..."
Sie hatten sie also verprügelt - nun ja, selbsterständlich, sonst hätten sie es nie geschafft, jeden zum Trinken zu bewegen.
"Herzlichen Glückwunsch."
"Wie?"
"Herzlichen Glückwunsch. Es ist mir gestern nicht gelungen, auch nur einen Drachenreiter so weit wach zu bekommen, daß er wütend wird. Wut ist eine gesunde Reaktion. Wie habt ihr das gemacht?"
Die beiden sahen einander verlegen an. Ich hatte mir gleich gedacht, daß sie etwas getan haben mußten, für das sie Ärger bekommen würden, wenn es bei der Leitung ankäme. Jetzt aber wollte ich eine ehrliche Antwort.
"Es ist etwas, wofür ihr Ärger bekommen könntet, nicht wahr?" fuhr ich fort.
"Äh..."
"Schaut, was immer ihr getan habt, ich werde es euch diesmal nicht übel nehmen ... aber wenn es etwas war, wofür er euch jetzt noch böse ist, muß jemand die Wogen glätten, bevor daraus wirklich ein Problem entsteht. Denn der Gefängnisleiter wird euch nicht decken. Er war dagegen, Säufer wie euch die Aufgabe zu übertragen, wehrlose Gefangene zu versorgen. Ich wollte es. Und ich halte es immer noch für eine gute Idee - eben weil ihr ihn zu einem richtigen Wutanfall provoziert habt. Aber ganz gleich, was ihr getan habt - wir müssen dafür sorgen, daß daraus kein dauerhafter Wut und Groll entsteht und daß es nicht ausartet. Also erzählt ihr mir erst einmal, was ihr getan habt - und dann sehen wir weiter."
Sie erzählte es mir nicht.

Sobald sie den Gefängnistrakt verlassen hatten, wurde ich über Lautsprecher ins Büro gerufen. Ich schloß die Tür auf und ging hin.
"Und? Wie haben sie sich benommen?"
Ich erzählte dem Gefängnisleiter alles, was sie gesagt hatten und bat dann, nachschauen zu dürfen, wie es den Leuten ging.
"Gut. Mach deinen Rundgang und erstatte mir nachher Bericht."

Die meisten lagen immer noch apathisch im Bett. Ich entdeckte vereinzelt Striemen, aber nichts, das dauerhafte gesundheitliche Folgen befürchten ließ. Nur der Reiter namends Koherith tigerte ruhelos in der Zelle auf und ab. Als ich die Tür aufschloß drehte er sich abrupt zu mir um und holte aus, um mir eine Ohrfeige zu geben. Ich blieb stehen und lächelte nur. Er ließ es bleiben.
"So." sagte ich "Du bist also auf den Beinen."
"Ja. Wo sind die Burschen, die zuletzt hier waren, Khaerith?"
"Wahrscheinlich sicher außerhalb der Gefängnismauern. Was haben sie getan?"
"Sie haben mich nackt ausgezogen und dann die Eier gequetscht."
"Du bist außer mir und Daeraith der einzige Drachenreiter, der auf den Beinen ist. Und von daher kann ich diese Idee nicht schlecht finden." antwortete ich und starrte ihm ungerührt in die Augen.

Er erwiderte meinen Blick zornig und wurde dann nachdenklich:
"Wirklich der einzige?"
"Ja."
"Und die Drachen?"
"Hier ist Daera - die frischgeschlüpfte Schwester von meinem Drachen - und das ist der einzige lebende Drache von dem ich weiß." antwortete ich.
"Wir müssen herausfinden, ob noch jemand von ihnen lebt. Wieviele Drachenreiter sind hier gefangen?"
"117. Das sind alle noch lebenden Reiter, so weit ich weiß. Die meisten sind nicht bei Bewußtsein und wenn wir nichts tun, werden sie sterben. Daera liegt auch nur apathisch herum und wir halten abwechselnd Wache bei ihr." erklärte ich.
"Das heißt die meisten von uns sind tot - und die Drachen sowieso..."
"Ja. Ich will verhindern, daß noch mehr sterben. Und dazu brauche ich deine Hilfe. Komm - wir fragen den Gefängnisleiter, ob noch andere Drachen leben."
Da brach er in Tränen aus. Ich trat zu ihm hin, nahm ihn in die Arme und fragte wie es ihm in der letzten Zeit ergangen sei. Es war, wie ich erwartet hatte. Flucht. Dann wurden zuerst die Eltern seines Drachen gefunden, gefangengenommen, ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen und schließlich fanden sie auch ihn und seinen Drachen, lähmten ihn mit Lähmstrahlern, häuteten den gelähmten Drachen, der aber die Schmerzen dennoch in vollem Ausmaß fühlte und Koherith bekam sie mit. Ich blieb bis spät in die Nacht bei Koherith, erst dann wechselte ich Daera bei ihrem Drachen ab.

Kersti


FC8. Kersti: Fortsetzung: Selbstmord
FC6. Kersti: Voriges: Der Gefängnisleiter
FCI. Kersti: Inhaltsübersicht: Damit Drachen leben können
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Thema: Drachen

V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben

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