Ich umkreiste die Lichtung mit dem Körper, auf der er einen Kreis eingezeichnet hatte. Der Kreis war in der feinstofflichen Welt gut zu erkennen und ich mußte ihn erst öffnen, um den Körper erreichen und untersuchen zu können. Er war so zusammengesetzt, daß man ihn leicht in einen echten lebenden Körper umwandeln konnte. Und gegen Sklavenarbeit hatte ich nichts einzuwenden, sofern ich dabei keine Schuld auf mich laden mußte.
Außerdem waren seine Beschwörungen sowieso nicht dazu geeignet mich zum Gehorsam zu zwingen. Also nahm ich das Angebot an, betrat den Körper und begann ihn für meine Zwecke umzuformen. Das nahm ein paar Tage in Anspruch, funktionierte aber sehr gut. Der Mensch beobachtete die Veränderungen an meinem neuen Körper mit steigender Erregung. Als ich began zu atmen, brach er in Jubel aus.
Schließlich setzte ich mich auf und sah ihn an.
"Kannst du schon aufstehen?" fragte er.
Ich nickte nur, denn mit den Sprechwerkzeugen war ich noch nicht ganz
fertig.
"Dann mußt du mir jetzt folgen. Du mußt mir gehorchen,
weißt du? Ich habe dich nämlich erschaffen und mit
magischen Sprüchen gebannt. Da kannst du gar nichts gegen tun.
Du mußt mir gehorchen."
Ich war wieder einmal erstaunt, mit welcher
Insbrunst Menschen an die Realität ihrer
eigenen Fantasien glauben können, folgte
ihm aber gehorsam.
Er brachte mich zu einem Feld, befahl mir, es zu pflügen und ging. Ich nahm den Pflug und arbeitete gehorsam die ganze Nacht. Gleichzeitig pefektionierte ich weiter meinen schönen neuen Körper. Er tat mir gar nicht weh und ich hatte viel mehr Gefühl darin, als in den Leichenkörpern, die ich früher immer gehabt hatte.
Als mein Herr am nächsten Morgen kam, sagte ich ihm:
"Ich habe Hunger. Gib mir etwas zu essen."
Doch er brachte mich nur zum nächsten Feld und sagte mir,
daß ich dort auch pflügen solle.
"Gut. Ich arbeite und du bringst mir etwas zu
essen." stimmte ich zu und pflügte dort weiter.
Am Abend kam er wieder und brachte einen anderen Mann mit.
"Ich habe Hunger. Gib mir etwas zu essen!" sagte ich ihm.
"Wenn du nicht tust, was ich dir sage, dann
gebe ich dich meinem Golem zu fressen."
erzählte mein Mann dem anderen Mann.
Der andere Mann wurde schneeweiß, sah
mich an und rannte davon.
Ich ging auf meinen Mensch zu und sagte ihm wieder:
"Ich habe Hunger. Gib mir etwas zu essen."
Er fuchtelte mit den Armen herum und redete unverständliches Zeug.
Verwirrt blieb ich stehen und betrachte sein seltsames Gebaren. Was hat
er sich dabei bloß gedacht?
"Siehst du? Du kannst mich gar nicht angreifen also arbeite brav
weiter und versuch nicht, dich aufspielen."
Sprachlos sah ich zu, wie er sich umdrehte
und wieder ging. Statt jedoch weiterzuarbeiten,
folgte ich ihm. Wenn er ging, ging ich
auch, wenn er rannte, rannte ich hinter ihm
her und wenn er atemlos stehenblieb, um
mir irgendwelche sinnlosen Gesten an den
Kopf zu werfen blieb ich auch stehen und
wunderte mich, warum er sich so unsinnig
benahm.
Schließlich kam er auf einer Lichtung mit drei Gebäuden an, stürmte in das größte der Häuser und schloß hinter sich ab. Der Voratsspeicher stand direkt daneben und war für mich viel interessanter als das Wohnhaus, in dem er sich eingeschlossen hatte. Ich zerbrach das hölzerne Schloß und schaute hinein. Dann nahm ich mir etwas Brot und Käse heraus, setzte mich gemütlich auf die Bank vor dem Haus und aß mich in aller Ruhe satt. Schließlich ging ich zum nahegelegenen Bach und trank.
Plötzlich hörte ich jemanden laufen, fuhr herum und sah, wie
mein Mensch mit einem 2 Meter langen, armdicken Knüppel auf mich
zugerannt kam.
"Ich bringe dich um!" brüllte er.
Das war nicht wirklich gefährlich, also
blieb ich stehen, fing den Knüppel mit der
Hand auf, riß ihn ihm mit einem Ruck weg
und brach ihn in kleine Stücke. Der Mann
wurde vor Schreck schneeweiß, denn der
Knüppel war so dick, daß ein Mensch das
nicht so einfach hinbekommen hätte.
"Ich arbeite Tag und Nacht und du bringst
mir jeden Abend zu Essen. Gut?" sagte ich.
Er zitterte wie Espenlaub. Beim dritten Anlauf hatte er sich erst genug
unter Kontrolle, um zu antworten:
"Gut."
"So ist brav. Bis morgen Abend." sagte ich.
Ich ging zum Feld und pflügte weiter.
Als er am nächsten Morgen vorbeikam um
mir zu zeigen, wo ich weiterarbeiten sollte,
brachte er mir schon ein wenig zu essen
mit.
"So ists brav." sagte ich.
"Du sollst nicht immer sagen, so ists brav!
Ich bin schließlich kein Hund."
"Was soll ich sagen?" fragte ich überrascht.
Ich hatte "So ists brav." eigentlich immer
gerne gehört, weil es ein ehrlich gemeintes
Lob ist. Die Hunde hatten sich auch stets
darüber gefreut, wenn jemand so etwas zu
ihnen sagte.
"Danke." antwortete er.
Das fand ich sehr merkwürdig, denn "Danke" sagen die
Leute, wenn ihnen ein Geschenk nicht gefällt oder wenn jemand
etwas für sie getan hat, was sie nicht wollten und so. Ich habe
das Wort deshalb nie gemocht. Aber wenn er das wollte, konnte
ich natürlich auch "Danke" sagen.
"Danke." sagte ich und steckte das Essen ein.
"So ists brav." sagte er.
Ich beschloß, ihn diesmal nicht zu fragen, warum er jetzt "So
ists brav." gesagt hatte, obwohl er den Satz doch nicht mochte.
Wahrscheinlich hätte ich die Antwort sowieso nicht verstanden und
es wäre wohl etwas viel, alle Rätsel des menschlichen
Denkens an einem Tag erforschen zu wollen.
Als ich alle Felder gepflügt und eingesät hatte, hackte ich genug Brennholz für den Winter und grub den Garten des Herrn um. Er hatte übrigends noch so eine rätselhafte Marotte. Er wollte, daß ich ihn "Herr und Gott" nannte, obwohl er natürlich wirklich kein Gott ist. Ich tat ihm den Gefallen. Er dagegen nannte mich Sklave oder sein unwürdiges Geschöpf, obwohl er mich ja gar nicht gekauft hatte, wie man das mit Sklaven macht und mich auch nicht erschaffen hatte. Menschen spielen halt gerne und wenn man nicht mitspielt, bekommen sie schlechte Laune.
Eines Tages befahl er mir, sein Vieh zu hüten und es auch gleich auf der Weide zu melken. Ich erklärte ihm, daß das nicht geht, weil ich zu ungeschickt dazu bin und dann dem Vieh der Euter blutet und es krank wird. Da ging er ins Dorf und als er wiederkam, sagte er mir, daß ich am nächsten Tag das ganze Vieh des Dorfes hüten und es am Abend zu seinem Hof bringen sollte. Außerdem sagte er mir einen bedeutungslosen Satz und befahl mir, ihn im Dorf zu rufen, damit die Leute mir das Vieh geben.
Am nächsten Tag ging ich ins Dorf, rief den bedeutungslosen Satz, und nahm das Vieh außer einer kranken Ziege mit. Es war ein schöner friedlicher Tag. Die Muttertiere grasten und ich trug ein ganz Kleines auf dem Arm, weil es zu müde geworden war, um selbst zu laufen. Ich freute mich, daß ich das konnte, ohne ihm wehzutun.
Am Abend ging ich ins Dorf, schickte alle
Tiere zurück nach Hause und brachte
schließlich die Tiere meines Herrn zu seinem
Hof zurück.
"Wo sind die anderen Tiere?" fragte er mich ärgerlich.
"Ich habe sie zurück nach Hause gebracht." antwortete ich.
"Du solltest sie HIERHER bringen."
"Oh nein, das darf ich nicht. Sie gehören im Dorf den Leuten
und wenn ich sie hierher bringe, ist das Diebstahl. Und Diebstahl ist
böse." erklärte ich.
"Morgen gehst du noch mal das Vieh holen und diesmal bringst du es
zu mir, verstehst du?"
"Ja. Herr und Gott. Ich verstehe." antwortete ich.
Danach ging er zu Bett und ich machte
meine Arbeit für die Nacht.
Am nächsten Tag durfte ich alle Tiere mitnehmen. Ich fragte die
Ziege telepatisch, ob sie wirklich krank gewesen war und sie
erzählte, daß sie ganz gesund war und sehr wütend
gewesen war, daß sie nicht mitdurfte. Am Abend brachte ich das
Vieh wieder zurück ins Dorf und der Herr wurde wieder wütend.
Er sagte sogar, er würde mich umbringen, aber ich erklärte
ihm, daß er das ja gar nicht konnte, weil er kleiner und
schwächer war als ich.
"Ich habe jetzt ein Schwert!" drohte er.
"Und ich habe eine Axt. Seit ich den Axtstil
ersetzt habe, den ich kaputtgemacht hatte,
ist meine Axt länger als dein Schwert - und
deshalb habe ich dich dann totgehauen, ehe
ich in Reichweite von deinem Schwert bin."
erklärte ich ihm.
"Aber ich bin dein Herr und Gott weil ich dich
erschaffen habe und du bist nur mein
Geschöpf und Sklave. Ich kann dich auch wieder
vernichten, wenn ich das richtige Ritual mache."
"Oh nein. In Wirklichkeit spielst du nämlich
nur Herr und Gott und ich spiele deinen
Sklaven und dein Geschöpf. Du kannst dein
Ritual natürlich gerne einmal ausprobieren.
Ich setze mich auch ganz friedlich in deinen
Bannkreis und schaue dir zu. Nur schlagen
darfst du mich nicht. Ich will meinen schönen
neuen Körper nämlich noch viele Jahre
behalten."
Er sagte gar nichts mehr, legte sich nur
brummig schlafen. Ich erinnere Menschen
ungern an solche Wahrheiten, weil sie dann
immer so ärgerlich werden und vielleicht am
nächsten Tag nicht mehr mit mir reden
wollen. Sie lieben ihre selbsterfundenen
Geschichten zu sehr. Aber manchmal ist das
einfach notwendig.
Am nächsten Tag durfte ich nicht mehr Vieh hüten, dabei hatte mir das wirklich gefallen.
Den Rest des Jahres strengte er sich sehr an, sich genug Arbeiten auszudenken, damit ich wirklich Tag und Nacht etwas zu tun hatte. Ich fällte Bäume und trug sie zu ihm hin, half ihm, ein neues Haus zu bauen, bestellte seine Felder, rodete danach neues Land und legte darauf neue Felder an.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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