Reinkarnationserinnerung - Katzenärzte

FG4.

Mein Mensch

Er erzählte mir von der Klinik in der er lebte. Es war eine grausame Welt, in der wir Katzen und die jungen Männer, die hier arbeiteten, für die Gesundheit ihrer reichen Patienten innerhalb weniger Jahre verbraucht wurden. Er war nicht wirklich alt sondern jung - keine fünfundzwanzig. Aber er wußte, daß er nicht mehr lange leben würde.

"Bitte gib dem Jungen nicht die Schuld, mit dem du zusammenarbeiten sollst. Er ist auch nur ein Opfer, wie wir alle hier. Sei freundlich zu ihm, selbst wenn er unvernünftig sein sollte. Bitte."

Ich spürte den Ernst hinter der Bitte des jungen Mannes, der so alt wirkte. Und ich wußte, es würde nur Unglück daraus entstehen, wenn ich sie nicht erfüllen würde.

Dann ließ er mich auf seine Schultern steigen und trug mich in das Zimmer eines vierzehnjährigen Menschenjungen, der in der Ecke hockte und heulte. Ich fühlte auf Anhieb Ablehnung. Er war verwöhnt, sonst nichts. Fand ich. In Wirklichkeit ging es mir viel schlechter als ihm und ich heulte schließlich auch nicht.

Dann sah mich der ältere Mann an und dachte *Tröste ihn.* Ich spürte den Ernst dahinter und das Wissen, daß ein Unglück daraus entstehen würde, wenn ich es nicht täte. Ich schämte mich, weil ich so schlecht von ihm gedacht hatte. Ich sprang von der Schulter des Alten und kletterte auf den Schoß des Jüngeren.

Mit dem Jungen redete der so alt wirkende Mann laut, erklärte ihm, daß ich heute operiert worden war, daß ich bestimmt traurig sei, und daß er sich gut um mich kümmern müsse. Erst einmal solle er mich streicheln und später füttern. Dann ging der ältere.

Ich blieb mit dem Jungen allein, den ich eigentlich nicht so mochte. Vor allem, weil er weinte, während er mich streichelte. Aber das Streicheln war angenehm. Es tat mir gut. Ich entspannte mich und begann zu schnurren. Ich spürte, warum er so traurig war. Da war eine kalte Frau, die ihn immer geschlagen hatte. Dann hatte sie ihn an diesen schrecklichen Ort verkauft. Aber eigentlich war sie seine Mutter. *Warum ist sie so kalt? Hat er keine richtige Mutter?* dachte ich empört *Eine die ihn ableckt - ach nein - Menschen streicheln - schnurrt wenn sie ihn sieht - äh nein, Menschen reden. Ihn liebt?* Sanft glättete ich die scharfen Kanten seiner verletzten Gefühle, so daß seine inneren Wunden zu heilen beginnen konnten.

Er streichelte mich stundenlang, bis ich mich schließlich beschwerte, weil ich Hunger hatte - und zwar richtig - und er wußte doch, wo es Essen gab - oder? Er wußte es, fütterte mich und machte sich selber etwas ziemlich unappetitliches zu essen. Aber er fand es gar nicht unappetitlich. Er fand mein Essen unappetitlich, weil es rohes Fleisch war! Komisch. Rohes Fleisch ist doch lecker.

Sobald ich satt war krabbelte ich wieder auf seinen Schoß und beobachtete neugierig mit welchem Behagen er das komische Zeug verspeiste. Witzig war auch der Tee. Wasser schmeckt doch viel besser - aber für ihn muß es unbedingt Tee sein. Und er MOCHTE das auch noch.

Abends hat er mich im Bett noch lange gestreichelt und ich fühlte mich geliebt und schmiegte mich trostsuchend an ihn. Ich hatte immer noch Schmerzen von der Operation und das Wissen, daß die Zukunft nur noch schlimmer würde, machte es mir nicht eben leichter. Wenigstens gab es einen Menschen, der mich liebte - auch wenn er sich mindestens ebenso von aller Welt verlassen fühlte wie ich und meinen Trost so dringend brauchte wie ich seinen.

Kersti


FG5. Kersti: Folgendes: Reinigung der Kanäle
FG3. Kersti: Voriges: Der Alte
FGI. Kersti: Inhalt: Katzenärzte
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
Sonstiges
Kersti: Hauptseite
Kersti: Suche und Links
Kersti: Über Philosophie und Autorin dieser Seite

Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/     E-Mail an Kersti
Ich freue mich über jede Art von Rückmeldung, Kritik, Hinweise auf interessante Internetseiten und beantworte Briefe, soweit es meine Zeit erlaubt.