In dem Augenblick spürte ich einem geistigen
Impuls vom Piloten des Flugwagens:
*Der dürfte wohl gut genug sein für Dich.*
hinter diesen Worten lag eine Verachtung,
als wäre ich ein Stück Scheiße.
Mich traf das mitten ins Herz. Ich drehte
mich um, floh in die Hütte und warf mich
weinend ins Bett. Das erinnerte mich zu sehr
an meine Verbannung hierher, riß die Wunde
von damals wieder auf.
Nach wenigen Augenblicken wurde mir klar, daß ich das nicht
hätte tun dürfen. Der Mensch konnte keine Gedanken lesen und
mußte deshalb annehmen, daß ich ihn verachtete. Ich stand auf,
ging hinaus zu dem Mann:
"Ich wollte mich entschuldigen. Daß ich eben hineingerannt bin,
hatte nichts mit dir zu tun. Wie du sicher weißt, sind wir
fähig, uns in Gedanken zu unterhalten. In dem Augenblick als ich dich
anschaute hat mir der Flugwagenpilot eine ziemlich boshafte Bemerkung an
den Kopf geworfen. Und das hat mich an all das erinnert, was dazu
geführt hat daß ich hierher verbannt wurde. Du kannst dir
vielleicht vorstellen, daß ich nicht freiwillig hier bin. Es hat
nichts mit dir zu tun. Ich freue mich, daß du hier bist. Ich kann
nicht behaupten, daß es daran liegt, daß du's bist. Dazu
kenne ich dich noch nicht gut genug. Aber das wird wohl noch kommen, wenn
wir uns kennenlernen. Willkommen hier. Und komm herein, ich habe gerade
Tee für mich gekocht, als sie so unangemeldet kamen, dann können
wir jetzt gemeinsam zu abend essen." sagte ich und lächelte ihm
zu.
Er sah mich schräg von unten an - er war kleiner als ich - und
lächelte dann, aber so, als sei er sich nicht sicher, ob er mir trauen
könnte. Er hatte ganz offensichtlich Angst vor mir.
Dummerweise hatte ich ihm genau das vorgeführt, was offiziell der Grund war, weshalb Mitglieder der Herrscherrasse in die Berge verbannt würden. Verbannt wird, wer zu unausgeglichen ist, um einen Untergebenen gut zu behandeln. Und es brauchte Wochen unausgesetzte Geduld und Freundlichkeit, bis er aufhörte, mich vorsichtig zu beobachten, ob ich ihm irgendetwas Böses tun würde.
Danach war er mir eine wachsende Freude. Immer war er gut gelaunt, tat fleißig seine Arbeit und strahlte über jedes freundliche Wort von mir. Als er auch noch anfing, ständig nach Gelegenheiten zu suchen, wie er mir eine Freude machen könnte, kam es mir schließlich merkwürdig vor.
"Sag mal Jeri, wie war es denn da, wo du vorher gearbeitet hast?"
fragte ich ihn.
Sein Gesicht verlor sofort dieses fröhliche Strahlen, was für
ihn so typisch war.
"Nicht schön, wie?" fragte ich.
"Ich bin doch ein Krüppel." antwortete er.
Ich empfing Bilder von Erniedrigung und Spott, die sein Leben geprägt
hatten, bis er zu mir kam.
"Und ich habe mein Leben lang gedacht, ich würde in einer
besseren Welt leben, als ich tatsächlich lebe. Jedenfalls bis vor
zwei Jahren etwa." ergänzte ich.
Ich umarmte ihn und in mir erwachte ein wilder Zorn. So etwas sollte kein
Mensch erleben müssen. Niemand von MEINEM Volk durfte
so verachtet und erniedrigt werden.
Bei dem Gedanken lächelte ich über mich selbst. Das stammte aus einem anderen Leben. Damals waren die Menschen der Erde wirklich mein Volk gewesen. Zwei Drittel der Kinder kamen mit schweren Geburtsschäden zur Welt. Damals hatte ich das Gesetz eingeführt, daß Kinder mit ernsthaften Verkrüppelungen unfruchtbar gemacht werden mußten - denn sonst wäre der Anteil an Schwerstbehinderten, die zu keiner Arbeit fähig wären, so hoch geworden, daß ich sie hätte töten lassen müssen, damit die anderen nicht verhungern, weil schlicht nicht genug Menschen da waren, um die zum Überleben notwendige Arbeit zu tun. Jetzt war dieses Gesetz unnötig. Wir könnten wesentlich mehr vollkommen Arbeitsunfähige mitversorgen, als hier je zur Welt kommen würden und wir konnten genetische Schäden heilen. Dennoch war das Gesetz immer noch in Kraft. Und es wurde auf Leute wie Jeri angewandt, die zu meiner Zeit zu den vollkommen Gesunden gezählt worden wären. Da lief eindeutig etwas falsch. Ich überlegte, mit wem ich darüber würde sprechen können.
Mir fiel nur Zithia ein, die ehemalige Linuartina. Ich konzentrierte mich
auf ihre Persönlichkeit mit der Anfrage, ob sie Zeit für mich
hätte. Ich war überrascht mit welcher Freude und Herzlichkeit
sie mich begrüßte. Dann dachte sie sofort an Jeri. Ich
erinnerte mich, was er in den letzten Wochen getan hatte und wie
glücklich ich über ihn war und immer noch bin. Sie war
überrascht wie begeistert ich von meinen Diener war.
*Und er? - Frag ihn, ob er zufrieden ist.*
"Jeri - ich spreche gerade mit Zithia. Sie möchte wissen, ob du
zufrieden bist. Was soll ich ihr sagen?"
"Zufrieden? Ich war noch nie so glücklich wie hier!"
Ich gab seine Antwort weiter und spürte wie ihr ein Stein vom Herzen
fiel.
Dann teilte ich ihr meine Überlegungen zu dem Kastrationsgesetz mit.
*Das dachte ich auch schon. Ich werde sehen, ob ich es in den Rat bringen
kann. Aber mach dir keine zu großen Hoffnugen. Die Gesetze der
Retia werden nicht in Frage gestellt.* antwortete sie.
*Die waren auf eine ganz andere Situation zugeschnitten und damals
hätte er als gesund gegolten.*
Die Retia - daß war ich in jenem Leben, in dem ich das Gesetz
aufgestellt hatte. Schmunzelnd ließ ich Zithia meine Erinnerungen an
die Gründe für dieses Gesetz - und daran wie sehr ich trotz
dieser harten Tatsachen daran gezweifelt hatte, daß es richtig war,
ein solches Gesetz aufzustellen.
*Und jetzt gibt es nicht einmal mehr eine Notwendigkeit für ein
solches Gesetz.* sagte ich in der Gedankensprache.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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