Ich wußte eine Lösung für dieses Problem - wenn ich genug Menschen fand, die so gute Anlagen hatten wie mein Diener, wäre es kein Problem, sie zu Eingeweihten auszubilden. Nur alte Vorurteile, daß Menschen dazu grundsätzlich nicht fähig seien, hinderten uns daran, diese Fähigkeiten aus dem Volk zu nutzen.
Mein Ansehen war in diesen Jahren gestiegen. Mir wurde erlaubt, mich frei im Lande zu bewegen und auch in den niederen Bezirken der Tempel war ich wieder willkommen. Doch der Makel der Verbannung blieb haften. Die Priester des inneren Tempels, die in die Außenbezirke durften, hörten mir nicht zu, wenn ich Vorschläge machte.
Also besuchte ich die alte Linuartina, die auf dem Hof ihrer Eltern immer
noch bei ihren Kindern lebte und besprach mit ihr meine Überlegungen.
Sie stimmte zu, daß auch sie genug Menschen gefunden hatte, die man
zu Eingeweihten ausbilden könnte.
"Nur brauchen wir ja nicht Menschen mit den niederen Einweihungen wie
man sie in den äußeren Bezirken des Tempels erhält
sondern Hochgeweihte, die ihre Fähigkeiten nur in der reinen
Athmosphäre eines Tempels erwerben können." gab sie zu
bedenken.
"Das ist wahr - doch mein Außenposten wird das ganze Jahr
über rein genug gehalten, um eine solche Ausbildung zu
gewährleisten. Dort könnte man Hochgeweihte ausbilden.
Mein Problem ist, daß das früher oder später bekannt
werden wird und wir dann Leute im hochgeweihten Rat brauchen, die uns
decken. Vielleicht kannst du mir einen Rat gegen, an wen ich mich da
wenden könnte." antwortete ich.
"Die neue Linuartina ist vernünftig - aber noch sehr jung und die
Herren werden dich nicht zu ihr hinlassen."
"Ich hatte nicht vor, sie zu fragen. Ich werde mittels geistigem Reisen
gleich im hochheiligen Bezirk auftauchen."
Sie lachte.
"Willst du im Ernst behaupten, daß du deinen Schirm genau genug
dazu gestimmt hast? Der Hauptschirm ist nämlich nur halb
gestimmt."
"Das wird sich inzwischen wohl gebessert haben. Die Linuatina hat
schließlich mehr Zeit als früher, weil ich die Christalle der
Außenposten regelmäßig nachstimme. Aber darauf wollte
ich mich nicht verlassen. Mein Schirm ist groß genug, um zwei
Personen ohne Hilfe des großen Schirms zu transportieren, sofern er
sauber gestimmt ist. Ich werde ihn nachstimmen und nur mit seiner Hilfe
reisen."
"Gott - das arme Mädel wird dich für Gott persönlich
halten oder so ähnlich, wenn du das hinkriegst. Wo hast du das
gelernt?"
"In früheren Leben. Und keine Sorge - ich werde sie über
ihren Irrtum aufklären."
"Wann bist du so weit, daß du die ersten Schüler ausbilden
kannst?"
"In drei Wochen werde ich die Linuartina besuchen. Bis dahin kann ich
keine Störungen gebrauchen. Danach sind mir Schüler
willkommen."
"Gut - ich wüßte jemanden, den ich dir schicken
möchte."
"Gut. Dann bis in drei Wochen."
Ich kehrte zu meinem Außenposten zurück, dann verstärkte ich zusammen mit meinem Schüler den Schleier und reinigete die Räume wieder und wieder. Nach jedem Reinigen der Räume reinigten wir uns zuerst gegenseitig und stimmten dann die Lichtkristalle nach. Nach drei Wochen war die Energie so rein, daß ich ohne Anstrengung jedes einzelne Atom innerhalb des Schleiers gleichzeitig bewußt wahrnehmen konnte und daß wir gegenseitig unsere Gedanken beinahe automatisch lasen.
Danach stellten wir beiden eine Verbindung zu
den Räumen der Linuartina her - überprüften,
ob sie Gäste empfangen konnte und versetzten
unsere Körper dorhin. Der Gesichtsausdruck
des Mädels war malerisch. Sie begrüßte mich
mit einer Geste, die wir normalerweise nur für
ganz hohe Eingeweihte reservieren.
"Laß man Kind. Ich bin nur der Hüter eines unbedeutenden
Außenpostens und wurde deshalb von deinen Türhütern nicht
eingelassen. Sonst hätte ich mich wohl eines weniger erlauchten
Verkehrsmittels bedient, um dich zu besuchen." antwortete ich ihr
schmunzelnd."
Sie hob neugierig den Blick und begann zu grinsen. Offensichtlich war ihr
Leben doch etwas zu langweilig für das fünfzehnjährige
Ding, das sie war.
"Wo können wir uns in Ruhe unterhalten?" fragte ich.
"Komm in mein Schlafzimer. Sie werden es nicht wagen, mich dort zu
stören, auch wenn sie mich sonst behandeln wie ein kleines
Kind."
"Du bist ein Kind - und eine Eingeweihte. Von ersterem wissen sie, was
es bedeutet, von letzterem nicht so richtig. Das ist dein
Problem."
"Ja. Ich werde hier gehalten wie eine Gefangene nur damit ich meine
Energien nicht verunreinige."
"Wir sollten vielleicht den großen Schirm nachstimmen, damit du
jederzeit die Außenposten besuchen kannst. Die sind inzwischen
dauerhaft rein genug, daß du den Tempel dadurch nicht
verschmutzt."
"Oh ja..." ein träumerischer Ausdruck erschien auf ihrem
Gesicht.
Mir wurde bewußt, daß ich, wenn das herauskäme, mehr
Ärger bekommen würde, als ich mir je hätte träumen
lassen.
Kurz teilte ich ihr meine Pläne zur Ausbildung von Menschen
zu Eingeweihten mit. Und ich machte sie darauf aufmerksam, daß mein
Diener längst ein Eingeweihter war.
"Aber du hast doch selbst nur die niedere Tempelausbildung. Laß
mich wenigstens nachprüfen, ob dir nicht ein wesentlicher Fehler
unterlaufen ist." bat sie.
"Lies meinen Geist. Du solltest nicht nur überprüfen, ob
meine Absichten lauter sind sondern auch, ob meine Schlußfolgerungen
stimmen. Selbst wenn wir uns gegenseitig ständig beraten, machen wir
Menschen noch mehr als genug Fehler." sagte ich.
Wie ihre Vorgängerin war auch sie so gut geschult, daß die
gründliche Geistlesung, die sie bei mir machte, mich nicht belastete,
sondern im Gegenteil mir sogar half, meinen Geist etwas besser zu ordnen.
Nachher hatte sie mehrere Verbesserungsvorschläge parat, die wir in
unsere Pläne einbauen konnte und versprach mir, mit den Linaurtinen
der anderen großen Tempel unsere Pläne zu besprechen.
"Weißt du, wir alle sind der Ansicht, daß es dringend
notwendig ist, Menschen auszubilden. Aber wir kommen gegen die
halbeingeweihten Priester nicht an. Sie lassen es einfach nicht zu,
daß uns Menschen nahekommen."
"Gut. Wir bilden also auf Außenposten aus - und stimmen die
Schirme so gut, daß wir uns gegenseitig besuchen können.
Außerdem werde ich mich noch um die Außenposten des
Nachbargebiets kümmern." beschloß ich.
Es herrschte Mangel an gutausgebildeten Priestern in den Tempeln und im
Land. Ich unterhielt mich mit vielen darüber, organisierte,
daß, wer immer dazu fähig war, Leute aus dem einfachen Volk in
den Grundlagen, die im niederen Tempel gelehrt wurden unterrichtete, um
diesen Mißstand zu beheben. Diejenigen aber, die zu einer hohen
Tempelausbildung fähig waren, holte ich in meinen Außenposten
und bildete sie mit Hilfe meiner Erinnerungen aus früheren Leben zu
hohen Priestern aus. Es waren wenige, aber besser als niemand.
Der erste Teil wurde von denen, die ich nicht eingeweiht hatte, allgemein als mein Hobby betrachtet und belächelt. Der zweite Teil aber war geheim.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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