vor 15.2.00

Fantasy, Darkover: Dokiharjon

G18.

Zeiten der Entscheidung

Es war eine wunderschöner Abend im Spätfrühling, und ich, Varnia, ein sechsjähriges Mädchen ging mit meinem Vater wie fast jeden Abend durch einen Hintereingang in die Kneipe. Eigentlich ist er mein Pflegevater, ein Eunuch und stumm. In einer kleinen Kammer vertauschte er die Kleidung eines Stallburschen mit der schwarzen Uniform der Dokiharjoni, die die Leibgarde der Trockenlandkönige sind. Ich wechselte mein altes, zerschlissenes Kinderkleidchen gegen eine Hose aus gutem Stoff und eine hübsche Bluse, hängte mir mein Kinderschwert an den Gürtel und band mir eine Schleife ins Haar.

Es klopfte.
"Wer da?" fragte ich.
"Ich muß mit euch sprechen." antwortete der Wirt und seine Stimme zitterte vor Angst. Ich fragte mich, was ihn so erschreckt haben mochte.
"Komm rein. Wir sind soweit." antwortete ich.
Die Tür öffnete sich, der untersetzte, schwarzhaarige Wirt mit seinem unsteten Blick kam herein und sagte:
"Da ist ein ECHTER Dokiharjon!"
Ich sah zu meinem Vater hinüber, um seine Antwort sehen zu können. Er fand diese Bemerkung lustig und fragte mit schnellen Gesten in der Sprache der stummen Dokiharjoni:
"Ist er erwachsen?" Ich übersetzte simultan.
"Ja." antwortete der Wirt.
"Ich habe ihn erwartet. Laßt uns gehen." antwortete mein Vater, strahlte vor Freude und lief in die Wirtsstube, ich hinterher. Dort saß ein dunkelblonder Mann mit denselben schwarzen Gewändern wie mein Vater und sah uns überrascht an.
"Beander?" fragte er mit seinen Händen.
"Grüß dich, Joeth! Schön dich zu sehen." antwortete mein Vater.
"Hätte ich gewußt, daß du es bist, hätte ich den Auftrag, den Aufschneider zu bestrafen, nicht angenommen. Ich muß dich töten, wenn du dich dumm anstellst." sagte Joeth betrübt.
"Ich habe dich bewußt herausgefordert, Joeth. So weiß ich, daß der junge König sich seiner Krone jetzt sicher ist. Sonst hätte er dich nicht gehen lassen. Versprich mir, daß du dich um meine Tochter kümmerst, sollte ich den Kampf verlieren."
Daß mein Vater seinen Tod für möglich hielt, ließ für mich eine Welt zusammenbrechen. Mir war er unsterblich erschienen, jemand, der mich gegen jede Gefahr verteidigen konnte.

 

Ich mochte damals fünf Jahre alt gewesen sein. Ich spielte nach meiner Arbeit in der Küche mit einigen Sklavenjungen Fußball. Ausversehen schoß ich den Ball in den großen Hof und rannte dann hinterher, um ihn zurückzuholen. Plötzlich bellte mich ein Mann an, ob ich den Ball geschossen hätte.
"Ja." antwortete ich.
Er zog sein Schwert.
"Papa!" rief ich und floh.
Ich hörte, wie er zur Verfolgung ansetzte während von der Seite andere Schritte kamen. Dann stürzte er schwer. Ich hielt an, drehte mich um und sah meinen Vater dort stehen. Nachdenklich hob er die edelsteinverzierte Waffe des bewußtlos am Boden liegenden Angreifers auf. Wäre er unbewaffnet gewesen, hätte ich mich selbst verteidigen müssen.
"Wer ist das?" fragte ich.
"Der Sohn des Hastur." antwortete mein Vater.
"Und was machen wir jetzt?" fragte ich.
Als ein Sklave unseren Herrn angegriffen und verletzt hatte, war der zu Tode gepeitscht worden. Mir war klar, daß es viel schlimmer sein mußte, wenn man einen Königssohn schlägt. Mein Vater zuckte gleichgültig die Schultern:
"Abwarten. Spiel weiter."
Ich sah ihn zweifelnd an, doch als ich seine zuversichtliche Miene sah, holte ich den Ball und ging zu den anderen zurück. Wir versteckten uns hinter der Hausecke und beobachteten. Mein Vater fing ein Pferd ein, das gesattelt im Hof herumlief und schüttete dem Sohn des Hastur einen Eimer Wasser über den Kopf. Der schüttelte sich, sprang auf und brüllte:
"Ich bringe dich um!"
Mein Vater lächelte spöttisch und reichte ihm die edelsteinbesetzte Waffe mit dem Heft voraus. Statt anzugreifen, steckte der Mann sie ein, bestieg sein Pferd und ritt davon. Ich lief hin und fragte Vater, was er gemacht hätte. Der erzählte:
"Ich dachte geringschätzig: ,Das kannst du selbstverständlich versuchen. Ich gebe dir dein Schwert, damit du wenigstens die Spur einer Chance hast.' Der Bursche konnte Gedanken lesen und wird jetzt seinen Vater zuhilferufen. Komm Varnia, wir bereiten uns vor."
Wir holten unsere Schwerter. Dann gingen wir zur Tür des Pferdestalles, mein Vater hängte den Schwertgurt an einen Haken innen neben der Tür, ergriff das Heft und lehnte sich behaglich an den Türrahmen, so daß er von außen unbewaffnet erschien. Ich mußte meine Waffe in eine leere Box neben der Tür legen. Ich protestierte, doch mein Vater meinte:
"Wenn es ein sehr kurzer Kampf werden sollte, lohnt es nicht, daß du dich beteiligst."
"Und wenn du verlierst?" fragte ich.
"Warum sollte ich verlieren?" fragte er zurück.
Wenige Augenblicke später ritten fünf Bewaffnete auf den Hof. Mein Vater sah ihnen ruhig entgegen. Ihr zierlicher, rothaariger Anführer kam direkt auf meinen Vater zu, doch statt etwas zu tun, starrte er ihn nur an. Ich beobachtete wie der Gesichtsausdruck des Rothaarigen von Entschlossenheit zu Belustigung wechselte und dann nachdenklich wurde. Von Zeit zu Zeit nickte er oder hob leicht das Kinn. Ich nahm an, daß er auch Gedanken lesen konnte und mit meinem Vater eine Unterhaltung führte.
"Ich habe gehört, daß du heute Ball gespielt hast. Was ist geschehen?" wandte er sich plötzlich an mich. Ich erzählte es ihm. Er nickte hin und wieder, als wäre ihm die Geschichte schon bekannt.
"Weißt du, warum dich mein Sohn angegriffen hat?" fragte er.
"Nein." antwortete ich.
"Du hast ihn mit dem Ball getroffen."
"Oh. Das war keine Absicht." entschuldigte ich mich.
"Mein Sohn hat unangemessen reagiert. Leider kann ich den Angriff deines Vaters nicht ungestraft hinnehmen."
Ich sah fragend zu meinem Vater hinüber. Er signalisierte:
"Alles in Ordnung. Bring die Waffen weg." und ließ sich widerstandslos fesseln und abführen. Ich blieb weinend zurück.

 

Alle Menschen unseres Haushaltes gingen zwei Tage später zu der öffentlichen Bestrafungsaktion. Als wir den Platz betraten, wo sie stattfinden sollte, sprach mich ein Bewaffneter an:
"Du bist doch das Mädchen, das der junge Hastur angegriffen hat, oder?"
"Ja."
"Dann komm mit. Der Hastur möchte, daß du alles genau sehen kannst."
Ängstlich folgte ich ihm nach vorne, wo der Hastur mit seiner Leibgarde stand. Der Hastur lächelte mir flüchtig zu und gab das Zeichen zum Beginn. Mein Vater wurde auf eine erhöhte Tribüne geführt und jemand rief aus:
"Dieser Mann hat den Sohn des Hastur angegriffen. Zur Strafe erhält er fünfzig Peitschenhiebe."
Danach hängten sie Vater an den Händen auf und peitschen ihn aus. Ich betrachtete sein ruhiges, in sich gekehrtes Gesicht. Man sah ihm die Schmerzen nicht an. Nachher nahm er seine Jacke von einem Mann entgegen, zog sie an, kam, legte mir den Arm um die Schulter und sah erwartungsvoll zum Hastur hinüber. Der bat seinen Sohn, ihm das Schwert zu geben. Der junge Mann gehorchte. Der Hastur befahl:
"Zieh deine Jacke aus."
Verwirrt sah er seinen Vater an.
"Zieh deine Jacke aus."
Der junge Mann gehorchte zögernd. Dann setze sein Vater ihm das Schwert auf die Brust und befahl:
"Fesselt ihn!"
Der Sohn wich fassungslos zurück und spürte, wie ihn von hinten die Spitze einer zweiten Waffe berührte. Zitternd blieb er stehen. Ich spürte, daß er nicht eigentlich Angst hatte. Für ihn war eine Welt zusammengebrochen, in der ihm niemand Schaden zufügen würde. Daß gerade sein Vater ihn bedrohte, war das unbegreiflichste. Ich sah Tränen in den Augen des jungen Mannes schimmern, als er resigniert zuließ, daß die Garde ihn fesselte. Der Hastur führte seinen Sohn zur Tribüne und erzählte, daß er mich mit dem Schwert angegriffen hatte. Dann sagte er:
"Es mag hier üblich sein, Sklaven wie Besitzgegenstände zu behandeln, bei deren Tod nur Schadenersatz zu zahlen ist. Doch bei uns gelten andere Gesetze. Wenn mein Sohn ein Kind zu erschlagen versucht, wird er bestraft wie jeder meiner Untertanen. Fünfzig Peitschenhiebe."
Auch der Hastur-Prinz hatte seinen Stolz und schrie nicht. Doch sein Gesicht war vor Schmerzen verzerrt und seine Fäuste geballt, als sie ihn auspeitschten.

Als es vorbei war, gingen wir heim.
"Warum hat der Hastur ihn auspeitschen lassen?" fragte ich.
"Ich habe ihn gefragt, ob er seinen Sohn zum Tyrannen erziehen will." antwortete Vater.

 

Ich schnippte mit den Fingern um Joeth und meinen Vater auf mich aufmerksam zu machen.
"Ihr dürft nicht gegeneinander kämpfen!" sagte ich in der Gestensprache.
"Wir kämpfen. Es ist eine Frage der Ehre." antwortete mein Vater.
"Und was wird dann aus mir?" fragte ich vorwurfsvoll.
"Wenn ich sterbe, gehst du mit Joeth." antwortete mein Vater.
"Ich will aber dich als Vater." rief ich den Tränen nahe.
"Wir kämpfen. Es ist eine Frage der Ehre." sagte nun auch Joeth.
"Und du mischt dich nicht ein" ergänzte mein Vater streng und fuhr an Joeth gewandt fort: "Ich werde dich unter keinen Umständen verletzen. Wenn ich dich entwaffnet habe, habe ich gewonnen."
"Gut. Ich habe gewonnen, wenn ich dich entwaffne oder töte. Verletzungen finden keine Beachtung."
Angesichts dieser ungerechten Regeln, ballte ich nur hilflos die Fäuste. Ich dachte daran dazwischenzuspringen, wenn sie kämpfen. Sie hätten bestimmt beide aufgehört.

 

Ich muß damals vier gewesen sein. Wie so oft hatte ich auch an jenem Tag gegen die Kampfübungsstunden protestiert, die mein Vater mir mehrmals täglich angedeihen ließ, denn ich wurde von den anderen Kindern dafür verspottet. Mein Vater kümmerte sich nicht um meinen Protest. Schließlich wurde es Abend und ich durfte ihn in die Gastwirtschaft begleiten und mich schön anziehen. Es ärgerte mich unheimlich, daß ich eine Hose und keinen Rock hatte. Ich wollte ein ganz normales Mädchen sein!

In der Gaststube saßen zwei Frauen mit Hosen, Schwertern und kurzen Haaren. Fassungslos starrte ich sie an. Sie waren fast wie ich!
"Na Kleine, du siehst ja wie eine richtige, kleine Schwertfrau aus. Möchtest du zu uns kommen?" sprach mich die eine an.
Ich lief zu ihr hin und hoffte, daß sie mir etwas Leckeres spendieren würde. Bald saß ich vor einem Glas Traubensaft und plauderte mit den netten Tanten.
"Wer hat dir denn das Schwert gegeben?" fragte die eine.
"Papa. Er übt immer mit mir kämpfen."
"Ein vernünftiger Mann. Ich wünschte mein Vater hätte es mir beigebracht, als ich so alt war wie du."
"Warum denn?" fragte ich treuherzig.
"Das ist eine häßliche Geschichte. Nichts für so kleine Mädchen wie du." antwortete die andere Frau.
"Ich will es aber wissen!" protestierte ich wütend.
"Das Kind kann ruhig wissen, wie es in der Welt zugeht." meinte die erste und erzählte trotz des ständigen Protestes ihrer Begleiterin eine schreckliche Geschichte von einer Vergewaltigung. Was mich wirklich daran erschütterte war, daß sie schon allein vom Erzählen wieder weinen wollte. Trotzdem konnte ich eines nicht verstehen:
"Warum hast du ihn nicht gehauen? Männer können doch nicht richtig kämpfen!"
"Kind, damals konnte ich auch nicht kämpfen. Ich war noch keine Schwertfrau." antwortete sie, während ihre Gefährtin sich fast vor Lachen verschluckte. Ich begriff nicht, was daran lustig sein sollte. Mein Vater stieg auf die Tribüne und der Wirt rief:
"Wer diesen Dokiharjon besiegen kann, erhält tausend Kupferringe und seinen Einsatz von zehn Ringen zurück."
"Ob es ein Echter ist?" fragte die eine Frau neugierig.
"Nein. Du weißt doch, was solche Leute für einen Mist erzählen." meinte die andere.
"Er ist echt. Das ist nämlich mein Papa." widersprach ich energisch.
"Das kann nicht sein. Dokiharjoni sind Eunuchen. Sie können keine Kinder kriegen."
"Doch. Ich habe ihn adoptiert." sagte ich.
Wie alle Erwachsenen, denen ich das gesagt hatte, lachten auch diese beiden Frauen. Als ein Mann zur Tribüne ging, stand ich auf und erklärte:
"Ich muß auch da hin. Ich bin nämlich die Kampfwächterin und passe auf, daß nichts passiert."
"So, so. Und wenn etwas passiert?"
"Dann beende ich den Kampf."
Die Frauen lachten wieder und ließen mich gehen. Tatsächlich war ich in dieser Funktion noch nicht gebraucht worden. Mein Vater hatte bisher jeden Kampf in der Schenke gewonnen, indem er seinen Gegner entwaffnete. So war es auch diesmal. Als mein Vater seinem Gegner auf die Beine half und ihm mit einem anerkennenden Schulterklopfen das Schwert zurückgab, ging eine der beiden Frauen nach vorne und hinterlegte den Einsatz. Mein Vater nickte ihr höflich zu und nahm ihr gegenüber Aufstellung, dann sagte ich den Anfang des Kampfes an. Wie jedem Gegner ließ mein Vater auch ihr Zeit, sich auf seine Kampftechnik einzustellen, ehe er den ersten richtigen Angriff startete. Sie wich aus und konterte sofort. Er antwortete mit einem unerwartet heftigen Angriff und teilte gleich mehrere ebenso harte Hiebe aus. So kannte ich ihn nicht. Die Frau wich zur Seite aus und bewegte sich rückwärts in meine Richtung. Mein Vater drehte sich zu ihr um. Da sah ich seinen Gesichtsausdruck, eine Fratze von Schmerz und Zorn.
"Mein Gott er bringt sie um." dachte ich, überlegte, was ich tun konnte, um sie zu retten. Mein Vater trieb sie im schnellen Tempo auf den Tisch zu, auf dem ich stand. Mich würde er erkennen. Konzentriert beobachtete ich seine Bewegungen, wartete exakt den richtigen Augenblick ab und sprang gegen seinen Schwertarm. Vater holte aus, um mich zur Seite zu schleudern, dann riß er die Augen auf, begriff, wer ich war, ließ das Schwert fallen und schlug zitternd die Hände vors Gesicht. Die Frau starrte mich an und fragte, ob ich vollkommen verrückt geworden wäre.
"Nein. Er hätte dich umgebracht." antwortete ich. Jetzt kam auch die andere Frau auf die Bühne und fragte fassungslos:
"Aldones, was war das?"
"Ich weiß nicht", sagte ich und merkte, daß ich auch zitterte. Mein Vater machte mit einem Fingerschnippen auf sich aufmerksam und sagte:
"Die Frau ist verletzt. Sag: Wirt, hol einen Arzt."
Ich wiederholte den Befehl laut. Die verletzte Frau betrachtete erstaunt ihren Arm und sah, daß Blut heruntertropfte. Mein Vater schnippte wieder. Ich erschrak, wie grau er im Gesicht aussah.
"Übersetz: Ich habe die Kampfegeln verletzt. Damit muß ich dir den Sieg zusprechen Schwertfrau, bestell dir etwas auf meine Kosten und setz dich hin. Ich muß einiges erklären."
Ich gab seine Worte laut wieder.
"Fall mir nie wieder beim Kämpfen in den Arm. Ich hätte dich töten können." sagte er zu mir.
"Aber du hättest sie umgebracht!" widersprach ich empört.
"Jeden außer dir hätte ich umgebracht. Ich war nicht bei Sinnen." sagte mein Vater ernst.
"Außerdem war ich Kampfwächterin." ergänzte ich. Ich spürte, daß er das für einen großen Fehler hielt. Dennoch antwortete er:
"Du hast recht. Aber ich wäre lieber gestorben, als dich zu töten."
"Das weiß ich. Deshalb hat mein Plan ja auch funktioniert." antwortete ich triumphierend.
Nachdem der Arzt sich um die Verletzte gekümmert hatte, schlief ich in den Armen meines Vaters ein, während er eine schriftliche Unterhaltung mit den Schwertfrauen führte.

 

"Versprich mir, daß du dich nicht einmischt." befahl mir mein Vater.
Ich schüttelte den Kopf.
"Dann werde ich dich jetzt fesseln. Ich riskiere nicht, daß du bei diesem Kampf verletzt wirst." sagte er hart.
Wütend versprach ich ihm, was er verlangte. Dann übersetzte ich folgende Ansage für die Zuschauer in der Kneipe:
"Wer zu Unrecht die Kleidung der Dokiharjoni trägt, ist des Todes. Um sicherzustellen, daß niemand fälschlicherweise dieser Anmaßung bezichtigt und dafür bestraft wird, wird im Kampfe entschieden, ob ein Mensch das Recht hat, die Kleider eines Dokiharjon zu tragen. Einem solchen Kampfe beizuwohnen, habt ihr jetzt die Ehre."
Joeth und mein Vater nahmen auf der Kampffläche Aufstellung. Joeths Schwert leuchtete in geisterhaft blauem Licht auf, als es gezogen wurde. Sie bewegten sich so rasend schnell, daß ich mit den Augen nicht zu folgen vermochte, so unberechenbar, daß mein Geist es nicht im Gedächtnis behalten konnte. Dann, nach kaum drei Sekunden war Joeths leuchtendes Schwert zu Boden geschleudert und mein Vater hielt ihm seine einfache Klinge an die Kehle. Der fremde Dokiharjon sah ruhig und nachdenklich aus. Von einer unbedeutenden Verletzung an meines Vaters Arm tropfte Blut und erinnerte mich daran, daß der Kampf auch hätte anders ausgehen können.
"Nochmal?" fragte Joeth mit einer knappen Bewegung seines Armes. Mein Vater nickte und gab ihm den Weg zur Waffe frei.
Die folgenden Kämpfe zogen sich über Stunden hin. In manchen Phasen vermochten weder meine Augen noch mein Geist zu folgen, in anderen standen sie sich minutenlang unbeweglich gegenüber und maßen die Kräfte ihres Geistes. Manches wirkte tänzerisch und leicht, anderes hart und klar wie der Stahl mit dem sie kämpften. Doch all diesen kleinen Kämpfen fehlte der tödliche Ernst, den der erste gehabt hatte. Es war eine Wiedersehensfeier zwischen Gefährten, die zusammen herangewachsen waren und kämpfen gelernt hatten. Erst danach ließ mein Vater die Wunde versorgen, die längst zu bluten aufgehört hatte.

 

" ... und wenn du alt genug bist, wirst du all diese Dinge selber sehen." mit diesen Worten endete jede Geschichte, die mein Vater mir in meiner Kindheit erzählte. Zuerst war das weit weg, fern wie ein Märchen. Doch später begann ich mich auf die Zeit zu freuen, wenn ich groß genug wäre, um alle Orte zu besuchen, von denen mein Vater mir erzählte. Er selbst hatte nur im Geschichtsunterricht im großen Haus des Trockenlandes davon gehört, den er zusammen mit dem gleichaltrigen Prinzen, dessen Leibwächter er gewesen war, genossen hatte. Er hat mir alles beigebracht, was er wußte und konnte.

Für den Fall, daß etwas schiefgegangen wäre, stand unser Gepäck, seit wir hier lebten, in einem Versteck außerhalb der Stadtmauern zur Flucht bereit. Im Nachhinein muß ich sagen, daß mein Vater eine weise Entscheidung traf, indem er blieb, solange ich noch sehr jung war. Sklaverei kann schrecklich sein, wenn man einen Besitzer hat, der seine Leute nicht als Menschen achtet. Doch unser Herr behandelte Sklaven als Familienmitglieder, so daß Liebe und Geborgenheit für mich schwerer wogen als der Mangel an Freiheit. Die Arbeit, die ich tun mußte, entsprach meinen Fähigkeiten. Wer sich darüber beschwert, daß er durch eine sinnvolle Arbeit seinen Lebensunterhalt verdienen soll, hat meiner Ansicht nach einen Vogel.

 

Am nächsten Morgen ging mein Vater zum Herrn des Hauses, wo ich von meinem dritten Lebensjahr an gelebt hatte, ersetzte ihm das Geld, das der Herr damals den Sklavenhändlern für uns bezahlt hatte und kaufte die wertvollen Pferde, mit denen wir fortreiten wollten. Die Showkämpfe in der Kneipe hatten uns genug Geld eingebracht.

Der Ritt führte uns durch eine sonnenbeschienene, gebirgige Landschaft. Mein Vater und Joeth waren sehr nett zu mir. Es war alles viel schöner, als ich mir das vorgestellt hatte und ich wußte, daß ich die Menschen, die mir lieb geworden waren, wieder würde besuchen können. Abends, als wir um ein Lagerfeuer herumsaßen und uns unterhielten fragte mich mein Vater:
"Na, mein Kind, wo willst du mit mir zuerst hinreiten, wenn wir uns von Joeth trennen?"
"Zu den Schwertfrauen." antwortete ich.
"Ich weiß nicht, wo sie jetzt sein mögen, aber wir werden sie finden." antwortete mein Vater.

Damit begann die nächste Phase meines Lebens, in der ich wohl jedes Dorf der Domänen kennenlernte und dabei in jedem Gildenhaus der Schwesternschaft vom Schwert übernachtete, obwohl mein Vater dort nicht hineindurfte und anderswo sein Lager aufschlagen mußte.


19. Kersti: Fortsetzung: Ria Chia
17. Kersti: Vorheriges: Der adoptierte Vater
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
Z60. Kersti: Fantasywelt Darkover
VB17. Kersti: Fantasy
1. Kersti: Zauberschlož
Sonstiges
Kersti: Hauptseite
Kersti: Suche und Links
Kersti: Über Philosophie und Autorin dieser Seite

Eine Geschichte von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/     E-Mail an Kersti
Ich freue mich über jede Art von Rückmeldung, Kritik, Hinweise auf interessante Internetseiten und beantworte Briefe, soweit es meine Zeit erlaubt.