Reinkarnationserinnerung - 13 Hexen

6/04

M15.

Eine Warnung

Als ich morgends hinaus ins Freie ging, schneite es in großen, weichen, weißen Flocken. Gedankenverloren ließ ich meinen Blick über die Landschaft schweifen. Eine Nonne kam aus dem Wald zu meiner außerhalb des Dorfes gelegenen Hütte. Ich wunderte mich. Ich kannte die Äbtissin Kerta schon seit sie Novizin war, doch war sie in all den Jahren nur ein einziges mal hierher gekommen, als die damalige Äbtissin totkrank und Kerta mit ihrem Wissen über Kräuter am Ende war. Doch auch meine Lehrerin wußte keine Heilung für die tödliche Krankheit. Ich ging in die Hütte, fachte die Glut vom Vortag neu an und setzte Tee auf. Sie würde sicher etwas warmes trinken wollen. Dann klopfte es auch schon. Ich öffnete und begrüßte meine alte Freundin:
"Willkommen, Kerta. Tritt ein und fühl dich wie zuhause."
"Du mußt fliehen." sagte sie hastig und schloß die Tür hinter sich.
"Warum?" fragte ich beunruhigt.
"Du bist als Hexe angeklagt."
"Aha. Und die anderen Frauen?"
"Ich weiß nicht, wahrscheinlich auch."

Ich schwieg und überlegte, was ich tun könnte. Es gab nur eine Möglichkeit, die mit meinem Gewissen zu vereinbaren war.
"Ich bleibe." sagte ich fest.
"Nein! Bitte, du mußt dich in Sicherheit bringen." flehte Kerta.
Manchmal ist sie niedlich. Wenn ich sie vor einer vergleichbaren Gefahr gewarnt hätte, wäre sie nie geflohen.

"Kerta ich kann nicht einfach verschwinden und die Frauen alleinlassen, die ich ausgebildet habe. Ich habe Verantwortung." erklärte ich ihr.
"Aber sie werden dich foltern und verbrennen!" versuchte sie mich zu überzeugen.
"Ich weiß. Das werden sie mit meinen Schülerinnen auch tun, wenn die nicht fliehen. Ich werde versuchen, sie zu überzeugen, aber ich glaube nicht, daß ich Erfolg haben werde."

"Hast du eine ungefähre Vorstellung, wieviel Zeit uns noch bleibt?" fragte ich ruhig.
"Nein." antwortete sie.
"Wahrscheinlich sind es nur ein paar Tage. Ich werde versuchen die Frauen bis dahin zur Vernunft zu bringen." entschied ich.
Dann goß ich uns den heißen Kräutertee ein und wir unterhielten uns noch eine Weile. Sie redete über ihre Novizinnen, ihr Lieblingsthema. Mitten in der Unterhaltung fragte ich unvermittelt:
"Kerta, was würdest du an meiner Stelle tun? Würdest du fliehen?"
"Ich weiß nicht", antwortete Kerta, hielt inne, sagte dann leise: "Nein, nicht ohne meine Novizinnen. Wenn ich sie schon nicht zur Flucht bewegen kann, würde ich sie wenigstens nicht allein lassen wollen."
Ich nickte. Sie sah mich gequält an.

"Die Gerichte der Welt mögen Unrecht sprechen - doch es gibt noch ein höheres Gesetz." sagte ich leise tröstend.
"Und was bringt dir das?" fragte Kerta empört.
"Es ist das wichtigere Gesetz. Vertrau darauf." antwortete ich sanft und zuversichtlich.
Kerta brach in Tränen aus. Ich zog sie in meine Arme. Es ist leichter zu sterben, als alleine zurückzubleiben. Meine Mutter wird wohl froh sein, daß ich sterbe. Wenigstens sie wird nicht darunter leiden.

Kerta und ich verließen, nachdem sie mich vor der Inquisition gewarnt hatte, gemeinsam die Hütte. Sie wandte sich dem Wald zu und ich ging auf Schleichwegen zu meinen Schülerinnen, die inzwischen als Mägde arbeiteten oder selber als Bäurinnen einem Hof vorstanden. Ich redete jeder von ihnen mit Engelszungen zu, zu fliehen. Und jede von ihnen fand einen Grund, weshalb sie nicht konnte. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, daß sie jemand bei der Inquisition angezeigt haben könnte. Ich wußte, daß die Warnung ernstzunehmen war. Kerta verbreitet keine üblen Gerüchte. Hätte ich meinen Schülerinnen das richtig klarmachen können, so hätten sie begriffen, daß es zwar schlimm ist, ein Kleinkind alleinlassen zu müssen. Aber selbst für das Kind ist es besser, zu hören, daß die Mutter geflohen und am Leben ist, als wäre sie als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Es tat mir weh, zu sehen, daß ich sie vor ihrem Schicksal nicht retten konnte.

Müde kehrte ich nach Hause zurück, holte meine Bibel hervor und las. Jesus hat in seinem Leben einige sehr vernünftige Dinge gesagt. Vielleicht fand sich dort eine Lösung.

Kersti


M16. Kersti: Fortsetzung: Vielleicht solltest Du überlegen, was du ohne mich tun würdest...
M14. Kersti: Vorheriges: Ausbildung
MI. Kersti: Inhaltsübersicht: 13 Hexen
M1. Kersti: Zum Anfang: Krankheit
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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