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Warum ich meine Hundeartikel gerade so schreibe

Die Art, wie meine Hundeartikel geschrieben sind, ruft manchmal erstaunliche Reaktionen hervor. Besonders Leute, die meinen, sie hätten Ahnung von Verhaltensforschung an Hunden, erzählen mir, meine Artikel wären schlecht - und belegen das mit Interpretationen meiner Artikel, die mit ihrem tatsächlichen Inhalt nichts zu tun haben.

So führe ich vieles am Hundeverhalten darauf zurück, daß Wölfe diese Eigenarten und Fähigkeiten deshalb entwickelt haben, weil sie Raubtiere sind. Überraschenderweise versuchte das eine meiner Leserinnen mit der korrekten Aussage zu widerlegen, daß Hunde ja deutlich weniger Gesichtsmuskeln haben als Wölfe und deshalb nicht dasselbe Ausdrucksverhalten haben könnten. Nun - im Tierpark Sababurg gab es, als das Wolfsgehege neu eingerichtet wurde, eine ganz einfache Möglichkeit das Mienenspiel eines Wolfes aus nächster Nähe zu beobachten. Man geht einfach mit dem eigenen Hund zum Zaun des Geheges, wenn die Leute alle erzählen, die Wölfe währen nicht da. Dann steht drei Meter vom Zaun entfernt ein Wolf aus dem hohen Gras auf (der vorher praktisch unsichtbar war, obwohl er durch das Gras nicht verdeckt war) kommt an den Zaun und fordert den Hund zum Spielen auf. Mein Dackel hat sich dann immer hinter mir versteckt. Offensichtlich war ihm der Wolf unheimlich. Bei Schäferhunden ist der Kleine nämlich mutiger.

Dann kann man sehen, daß das Minenspiel eines Wolfes tatsächlich differenzierter ist, aber auch daß Hund und Wolf keinerlei Schwierigkeiten haben, einander ungefähr richtig zu verstehen und daß mein Wissen über Hundeverhalten durchaus geeignet ist, auch einen Wolf zu verstehen.

Diese Alltagsbeobachtung stimmt mit den Ergebnissen aus Kreuzungsexperimenten zwischen Hund und Wolf, sowie Goldschakal und Wolf überein: Hund und Wolf sind sich immer noch so ähnlich, daß sie sich trotz der durch die Domestikation des Hundes eingetretenen Veränderungen immer noch problemlos miteinander verständigen können. Goldschakal und Hund haben erhebliche Verständigungsprobleme miteinander und kreuzen sich nicht ohne weiteres, obwohl sie fruchtbare Nachkommen zeugen können. Aus diesem Grunde nahm Konrad Lorenz seine ursprüngliche Vermutung zurück, daß Hunde von Goldschakalen und Wölfen abstammen würden und schloß sich der Ansicht an, daß Hunde eine Unterart des Wolfes sind.

Das erstaunliche an diesen kritischen Zuschriften, ist mit wieviel Inbrunst sie vorgetragen werden - und wie eifrig sich dieser Typ Leser bemüht hinter jeder Vereinfachung, die ich benutzt habe, um einen Artikel schreiben zu können, ohne daß es gleich ein Roman wird, Unwissenheit zu vermuten. Oft im direkten Widerspruch zum Wortlaut der Artikel.

Nun - ich habe über Hunde schon drei, vier Bücher von Verhaltensforschern gelesen. In Büchern über Hundeerziehung, die nicht von Verhaltensforschern stammen, lese ich meist höchstens insgesamt eine halbe Seite und stelle sie dann beiseite, weil ich schon drei Fehler gefunden und zum Ausgleich dafür nichts neues darin entdeckt habe. Das ist für meine Verhältnisse nicht viel, aber es ist auch nicht nichts. Und mein Wissen ist jetzt auch nicht zwanzig Jahre alt, wie die Reaktionen macher Leser über deren Wissen nahelegen. Auch in der Verhaltensforschung beim Wolf wurde inzwischen das "Spielgesicht" nachgewiesen, das in seiner Bedeutung etwa dem menschlichen Lächeln entspricht. Trotzdem bekommt man von Zeit zu Zeit zu hören, so etwas würde es nicht geben. Tatsächlich wirken die Reaktionen dieser Leute geradezu irrational in ihrer Heftigkeit.

Tja ... was habe ich nur falsch gemacht?

Eigentlich ist es ganz einfach: Ich nehme menschliche Verhaltensweisen als Analogie umd Hundeverhalten zu erklären. Eine Todsünde in den Augen vieler Menschen. Ich habe allerdings nicht die Absicht, mir das abzugewöhnen: wenn ich im Verhaltensforscherjargon rede, werden die meisten Menschen schlicht nicht verstehen, was das bedeutet, was ich sage.

Also sehe ich mir das Hundeverhalten an, stelle fest, zu welchem Instinkt dieses Verhalten gehört und schaue, wie der Mensch seine Gefühle oder sein Verhalten nennt, wenn sich bei ihm derselbe Instinkt in einer möglichst ähnlichen Situation regt. Und diese Worte benutze ich dann. Wenn ein Hund sein Spielgesicht aufsetzt nenne ich es je nach Situation Lächeln oder freches Grinsen. Wenn ein Hund auf die Begrüßung eines jungen Hundes mit "Pflegeverhalten" und Spiel reagiert, unterstelle ich ihm, daß er den Jungen "süß" findet. - Denn genau das empfinden Menschen in vergleichbaren Situationen - und da solcher Umgang mit Jungtieren Entwicklungsgeschichtlich wahrscheinlich so alt ist wie die Entwicklung des Gesäuges, ist anzunehmen daß die zugehörigen Gefühle, die dieses Verhalten auslösen, genauso alt sind. Zumindest die Hormonreaktionen die diese Gefühle beim Menschen auslösen, laufen bei Säugetieren doch offensichtlich ähnlich ab.

Das Wolfsrudel ist nun einmal ein soziales Gefüge, das einer menschlichen Großfamilie ähnlicher in Funktion, Größe und Aufbau ist als die Sozialgefüge vieler Affenarten oder auch die Sozialgefüge der Füchse oder Goldschakale, die bei weitem nicht so differenziert sind wie ein Wolfsrudel. Deshalb hat sich das, was wir mit Wölfen nicht schon von gemeinsamen Vorfahren geerbt haben parallel sehr ähnlich entwickelt.

Deshalb ist meine Art Hundeverhalten zu beschreiben sicher sehr gut geeignet, um Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in einen Hund hineinzuversetzen.

Trotzdem muß man natürlich darauf achten, nicht an den falschen Stellen zu vermenschlichen: Hunde verstehen eine Familie als so etwas wie ein Wolfsrudel und auch die Beziehungen zu befreundeten und benachbarten Familien sind ihnen prinzipiell noch nachvollziehbar - aber was eine Kultur oder Gemeindepolitik ist, geht völlig über ihren Horizont. Hunde können etwa hundert Worte lernen - aber einen Satz aufgrund seiner Grammatik zu verstehen ist ihnen nicht möglich. Sie verstehen immer nach dem Motto: "Wenn man diese fünf Worte in einen Sack schmeißt - was könnte das heißen?" und nachdem sie alle Möglichkeiten durchprobiert haben, kommen sie vielleicht auf die richtige Lösung.

Kersti

VA5. Kersti: Gefährliche Aufklärung
VA6. Kersti: Was muß ein Hund lernen?
VA7. Kersti: Das Gefährlichste im Umgang mit Hunden ist Angst
VA8. Kersti: Was tun, wenn ein Hund angreift?
VA9. Kersti: Das Wichtigste bei der Hundeerziehung ist das Lob
VA10. Kersti: Mein Hund ist der einzige, der mich versteht
VA11. Kersti: Wieviel Sprache versteht ein Hund?
VA12. Kersti: Was ist ein gut erzogener Hund?
VA31. Kersti: Warum es unmöglich ist, bei vorurteilsgeladenen Themen auf Wörter zu verzichten, die als abwertend gelten
VA32. Kersti: Hunde und kleine Kinder
VA53. Kersti: Sind Schläge oder nicht Schläge in der Erziehung wirklich so wichtig?
VA65. Kersti: Lob, Tadel und - darf man einen Hund schlagen?
VA66. Kersti: Der Unterschied zwischen alt und veraltet
VA74. Kersti: Beweist die Evolutionstheorie, daß das Leben durch Zufall entstanden ist?
VA75. Kersti: Das Gefühl, daß die Welt in Ordnung ist
VA90. Kersti: Über Briefträger und Hunde
VA125. Kersti: Fehlertypen in der Wissenschaft
VA135. Kersti: Natur und Umwelt
VA143. Kersti: Hundeerziehung
VA144. Kersti: Hundehumor
VA149. Kersti: Was denkt ein Hund, wenn man ihn anbellt?
VA167. Kersti: Wie bringe ich meinem Hund Gelassenheit kleinen Kläffern gegenüber bei?
VA178. Kersti: Der Unterschied zwischen "schlecht recherchiert" und "nicht allwissend sein"
VA187. Kersti: Übersetzung der Wahrnehmungen der geistigen Welt in Die Sprache unseres Denkens
VA195. Kersti: Konkrete Erziehungstricks bei Hunden
VA196. Kersti: Was mache ich wenn mein Hund beißt?
VA197. Kersti: Entwicklungs- psychologische Trennung zwischen materieller Realität, Fantasie und Geistigen Welten
VA207. Kersti: Beschneidungen
VA208. Kersti: Hunde haben keine Hände
VA209. Kersti: Verwechseln Hunde die menschliche Familie mit einem Wolfsrudel?
VA219. Kersti: Ernsthafte Beißereien zwischen Hunden
VA220. Kersti: Empathie: Wie unterscheidet man eigene Gefühle von fremden?
VA221. Kersti: Erfahrungen mit dem Internetseite schreiben und seinen Nebenwirkungen
VA287. Kersti: Ein Hund gehorcht nicht, weil wir das wollen, sondern aus seinen eigenen Gründen
VB83. Kersti: Wenn Fremde meinen Hund streicheln wollen, dann freut er sich zuerst aber schnappt nach kurzer Zeit zu
O5.1 4.2 Evolution auf Inseln
O5.2 3.2.6.5: Die Raubtiere Madagaskars
O5.4 Falklandwolf (Dusicyon culpaeus)
O5.5 2.2.3.2 Großraubtiere und große Pflanzenfresser auf der Isle Royale
O5.12 4.1 Refugien sonst ausgestorbener Arten
4.1.2 Beutelwolf

O5.34 2.2.1.2 Angeborenes Inzestabu: Geparden, Wölfe, Menschen
O5.40 2. Gründe, warum eingewanderte Arten wieder aussterben
2.1 Relativer Platzbedarf von Wölfen

O4. Kersti: A7 Unterschiedliches Ausmaß des sozialen Lernens bei Hunden und Wölfen

 

Übersicht: Hundeartige (Canidae), Ordnung: Raubtiere (Fissipedia), Unterklasse: Echte und höhere Säuger (Eutheria, Placentalia, Monodelphia), Klasse: Saügetiere (Mammamlia), Z98. Unterstamm: Wirbeltiere (Vertebrata), Z94. Reich: Tiere (Animalia), Domäne: Einzeller (Eukaria), Lebewesen


Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, https://www.kersti.de/, Kersti_@gmx.de
Da ich es leider nie schaffe, alle Mails zu beantworten, schon mal im voraus vielen Dank für all die netten Mails, die ich von Lesern immer bekomme.