erste Version: 6/2016
letzte Bearbeitung: 11/2021

VB189.

Autismus - Gedanken zu einem rätselhaften Phänomen

Inhalt

VB189.1 Kersti: Autismus - ein seltsam paradoxes Phänomen
VB189.2 Kersti: Ist Autismus eine soziale Behinderung - oder kann wer nicht sprechen kann auch nicht denken?
VB189.2.1 Kersti: Kann, wer nicht sprechen kann, auch nicht denken?
VB189.2.2 Kersti: Gestützte Kommunikation bei Autismus: wer ist der Urheber der Worte?
VB189.2.3 Kersti: Unterschiedliche Denksysteme - sprachliches Denken, bildliches Denken, denken in Mustern
VB189.2.4 Kersti: Ist Asperger eine soziale Behinderung?
VB189.2.5 Kersti: Funktioniert Festhaltetherapie bei Autismus?
VB189.3 Kersti: Ist Autismus die Folge traumatischer Erfahrungen?
VB189.4 Kersti: Hochsensibilität bei Autismus
VB189.5 Kersti: Ist Autismus die Folge traumatischer Erfahrungen?
VB189.4 Kersti: Hochsensibilität bei Autismus
VB189.5 Kersti: Unterschiedliche Autisten sind unterschiedlich
VB189. Kersti: Quellen

 
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1. Autismus - ein seltsam paradoxes Phänomen

Da sie genau die Aspekte betont, die mir Rätsel aufgegeben habe, zitiere ich hier Abschnitte aus einer Autismusbeschreibung von Autor: Terence Dowling:

"Für viele Experten ist das Grundsymptom des Autismus das Fehlen des affektiven Kontaktes, was auch schon in den ersten Lebensmonaten bemerkt werden kann. Es wird gesagt, daß die Kinder keinen Kontakt zu anderen Personen aufnehmen und Kontakt, der nicht von ihnen selbst ausgeht, ablehnen. Oft halten sie keinen Blickkontakt.
Aber es ist auch bekannt, daß autistische Menschen ganz enge, symbiotische Beziehungen zu einer Person, häufig der Mutter entwickeln und genießen. Die meisten Patienten mit Asperger-Syndrom zum Beispiel können in frühen Jahren überhaupt nicht allein sein. Viele haben bei ihrer Mutter bis in die Spätkindheit oder Pubertät geschlafen, und viele Eltern berichten, daß eine "Abnabelung" hier sehr schwierig zu schaffen war. Warum reagieren dann aber viele "Autisten" so heftig bei Trennung, wenn sie beziehungsunfähig sind?" 1.

"Es wird gesagt, autistische Kinder nehmen ihre Umwelt nicht wahr. Sie spielen lieber für sich allein, starren oft lange Zeit vor sich hin und wirken ganz in Gedanken versunken, nicht erreichbar für ihre Umwelt.
Aber, warum reagieren sie so heftig, wenn ihre Umwelt geändert wird? Viele geraten in extreme Panik und unbegreifliche Angst, wenn ihr Zuhause in den kleinsten Details verändert wird. Warum bemerken Autisten diese Änderungen, wenn ihr Kontakt zu ihrer Umwelt angeblich so schwach und ihnen ihre Umgebung so gleichgültig ist?" 1.

"Während der Pubertät verändern sich die sozialen Behinderungen oft ins Positive, aber jugendliche Autisten lehnen Gruppenaktivitäten meist ab und haben Schwierigkeiten mit lockeren Freundschaften. Eher wird ein einziger Freund vereinnahmt und ausgenutzt, bis es nicht mehr geht.
Warum gibt es Autisten, bei denen die Kontaktstörungen schon seit dem Säuglingsalter bestehen? Warum - andererseits - treten diese oft erst im zweiten oder dritten Lebensjahr nach einer völlig normalen Säuglingsphase auf?" 1.

"Häufig setzt die Sprachentwicklung verspätet ein. Bei 50 Prozent der Kinder bleibt sie ganz aus. Es kommt aber auch vor, daß Sprache zeitgerecht erlernt und später wieder verlernt wird. In jedem Fall wird behauptet, daß der Antrieb zum Sprechen bei erhaltener Sprechfähigkeit fehlt und daß autistische Kinder und Jugendliche Sprache nicht als Kommunikationsmittel benutzen. Wenn sie sprechen, wird häufig bloß nachgesprochen, und man hört stereotype Äußerungen, die ohne Beachtung des Sinn- oder Situationsbezuges wiederholt werden. Autistische Menschen neigen auch dazu, von sich selbst in der zweiten oder dritten Person Singular zu sprechen. Ein Ich-Begriff setzt - wenn überhaupt - erst verspätet ein." 1.

"Dieses Symptom kann erst deutlich ab dem zweiten Lebensjahr diagnostiziert werden. Erst dann fängt das Kind zwanghaft an, für eine Beibehaltung seiner Umwelt zu kämpfen. Das Spektrum des Verhaltens reicht von der zwanghaften Bindung an bestimmte Gegenstände über starre Spielabläufe, Frage- und Antwortrituale bis zum Beharren auf bestimmten, zeitlich und räumlich fixierten Ordnungsprinzipien. Eine Grundregel scheint zu sein "Vertraute Dinge dürfen nicht verändert werden". Das Umräumen von Möbeln oder Spielzeug, die Abweichung von einer Wegstrecke oder des Tagesablaufs beschwören größte Unruhe bis zu Panik und Wutausbrüchen herauf." 1.

"Autistische Kinder und Jugendliche wiederholen oft stereotype Bewegungsmuster wie Drehen, Schaukeln, Hüpfen, Hand- und Fingerbewegungen vor den Augen oder dem Mund, Armflattern, Händeklatschen oder Grimassieren. Obwohl die Bewegungen oft grazil wirken, kann man besonders in der Kindheit eine Störung der Feinmotorik feststellen." 1.

Im Artikel verwende ich das Wort Autismus, wenn der betreffende Mensch so schwerwiegende Probleme hat, daß er als ernsthaft behindert gelten muß. Beispielsweise, wenn ein Mensch nicht sprechen kann oder sich in seiner Umwelt nicht so bewegen kann, daß er normale Alltagsdinge wie einkaufen oder einen Haushalt führen nicht altersentsprechend bewältigen kann. Als Asperger bezeichne ich Menschen, deren Besonderheiten zwar auf ähnlichen Veranlagungen beruhen, die auf ihre Mitmenschen aber durchaus gesund und nur etwas komisch wirken.

 
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2. Ist Autismus eine soziale Behinderung - oder kann wer nicht sprechen kann auch nicht denken?

2.1 Kann, wer nicht sprechen kann, auch nicht denken?

Als Birger Sellins erstes Buch veröffentlicht wurde, führte das zu einer Diskussion, ob es überhaupt möglich sei, daß das seine Worte seien, wo doch jeder wisse, daß Autisten nicht denken können. Ich fand das schon beim Lesen absurd, da ich der Ansicht war, wenn jemand nicht spricht, kann man eben nicht wissen, was in seinem Kopf vorgeht. Daß Menschen ihre Unfähigkeit etwas wahrzunehmen oft für den beweis halten, daß das angeblich nicht existieren würde zeigt sich auch bei tauben Kindern. Schwerhörige und selbst taube Kinder werden immer wieder nicht als taub oder schwerhörig erkannt, sondern für dumm gehalten und häufig auch in eine entsprechende Anstalt eingewiesen, wo die Taubheit dann manchmal ebenfalls oft auch jahrelang nicht erkannt wird, was zu schwerwiegenden Schäden in der Persönlichkeits- und Intelligenzentwicklung führt19. S.66.

 
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2.2 Gestützte Kommunikation bei Autismus: wer ist der Urheber der Worte?

Die wissenschaftliche Forschung zur Gestützten Kommunikation bei Autismus ergab zunächst den Eindruck, daß wissenschaftlich erwiesen sei, daß im Falle der Gestützten Kommunikation die Inhalte immer von den Unterstützern kämen2., 3., später wurde das auch durch differenziertere Untersuchungen widerlegt6., 7. und einige der Person die mittels Gestützter Kommunikation geschrieben haben, lernten ohne eine solche Unterstützung zu schreiben4., 5..
VB191. Kersti: Gestützte Kommunikation bei Menschen, die nicht sprechen können: wer ist der Urheber der Worte?
Als nachgewiesen kann dennoch gelten, daß bei dieser Form der Kommunikation ein hohes Risiko besteht, daß die Unterstützer die Kommunikation unbewußt verfälschen oder für die Person sprechen2., 3., 8.. Die unterstützte Person kann in einigen Fällen auch dann noch schreiben, was ihre Unterstützer ihnen unbewußt mitteilen, wenn lediglich eine Hand auf der Schulter liegt oder der Finger nur mit einem Gummiband mit der Hand des Unterstützers verbunden ist8..

Verblüffend an diesen Ergebnissen ist, daß manche Autisten wie beispielsweise Birger Sellin, die in anderen Zusammenhängen durchaus normal geschickt sein können, und bei denen der Körper selbst nicht ernsthaft behindert ist, es brauchen, daß jemand ihre Hand festhält und sich darauf konzentriert, sich nach ihren Bewegungen zu richten, damit sie das schreiben können, was sie selbst schreiben wollen. Ebenfalls erstaunlich ist, wie leicht dieser Vorgang störbar ist, so daß die Autisten mit ihren Botschaften nicht mehr durchkommen. Das ist beinahe, als müßte man ihnen auf diesem Wege nonverbal sehr nachdrücklich erlauben, ihre eigenen Gedanken und Gefühle zu äußern. Es fragt sich auch, was bewirkt hat, daß Birger Sellin und einige andere durch diese Gestützte Kommunikation gelernt haben, sich selbst auszudrücken, obwohl zumindest Sellin nach eigener Aussage vorher schon die mündliche und die Schriftsprache beim zuhören oder lesen verstehen konnte. Welches innere Hindernis wurde dabei wie genau überwunden?

Ebenso verblüffend ist, daß ein autistisches Mädchen es offensichtlich als lohnend erlebte, die Worte ihrer Betreuer niederzuschreiben und dabei sehr subtile Signale auswertete, obwohl sie sonst Probleme mit jeglicher Art von Kommunikation hatte8..
VB191.4 Kersti: Fremde Gedanken schreiben: Ein Gummiband am Finger reicht...
In dem Fall ist eine naheliegende Vermutung, daß das Mädchen hierbei zwar nicht in der Lage ist, seine eigenen Gedanken in Worte zu fassen, daß aber die Erfahrung zu verstehen, was die Betreuer von ihr wollen und es zu tun, an sich so lohnend ist, daß sie das deshalb so gerne macht. Kommunikation ist ein zentrales menschliches Bedürnis, daher ist es nicht verwunderlich wenn jede gelungene Art der Kommunikation sich für einen Menschen gut anfühlt, der sonst wenig Erfolge bei der Verständigung mit seinen Mitmenschen erlebt.

 
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2.3 Unterschiedliche Denksysteme - sprachliches Denken, bildliches Denken, denken in Mustern

Autor: Temple Grandin schrieb in der ersten Ausgabe ihres Buches " Buch: Thinking in pictures" von 1995, da sie selber in ihrer Kindheit die Sorte Autist war, die jahrelang nicht sprechen gelernt hat und bildlich denkt, sowie mit einigen weiteren Autisten gesprochen hatte, die ebenfalls bildlich denken, Autisten würden bildlich denken. In der zweiten, erweiterten Ausgabe von 2006 korrigiert sie diese Sicht. Sie ist heute der Ansicht, daß es unter Autisten Menschen gibt, die bildlich denken, welche die in Mustern denken, andere die sprachlich denken. Sie meint daß alle Autisten in Details denken. Wenn das so ist, bin ich kein Autist, denn ich denke vernetzt, eine Denkweise für die ich den Begriff Gedankenkristalldenken erfunden habe, da die Gedanken auf mich wie ein schimmernder Kristall wirken und bin damit in einer Form auf das große Ganze ausgerichtet, wie ich das von anderen Menschen nicht kenne. Dummerweise denkt mein Mann auch vernetzt und hat durchaus eine Symptomatik, die man Aspergern oder hochfunktionalen Autisten zuordnen würde.

Zu unterschiedlichen Denkweisen habe ich folgende Artikel geschrieben und bin der Ansicht, daß die nichtsprachlichen Denkweisen durchaus einige der Autismussymptome erklären, sofern der Autist so denkt.
V237. Kersti: Der Gedankenkristall
V239. Kersti: Sprachliches Denken
V240. Kersti: Intuition
VB194. Kersti: Begriffssignaturen als Universelle Sprache
VB205. Kersti: Denken in Bildern

 
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2.4 Ist Asperger eine soziale Behinderung?

Fachleute zu Autismus und Asperger vertreten üblicherweise die Meinung, daß Asperger sozial unfähiger seien als andere Menschen. Aus meiner Sicht sind ihre sozialen Wahrnehmungen und Fähigkeiten anders, aber im Schnitt genau so differenziert, wie die von Nicht-Aspergern.
VB225. Kersti: Ist Asperger eine soziale Behinderung?
Ihre sozialen Probleme liegen auch nicht daran, daß ihnen im eigentlichen Sinne soziale Fähigkeiten fehlen würden, sondern ihre Probleme sind darauf zurückzuführen, daß sie in vieler Hinsicht anders sind als die Mehrheit der Bevölkerung und deshalb viele Dinge, die andere durch von sich auf andere schließen herausfinden, direkt gesagt bekommen müssen, weil die Erklärung für die irritierten Reaktionen der anderen eben im Inneren des Autisten oder Aspergers nicht zu finden ist, sondern nur im Inneren des Normalen. Ich selber komme mit Aspergern oder hochfunktionalen Autisten normalerweise sehr gut klar, weil ich mit ihnen immer die Erfahrung mache, daß sie - mindestens auf Anfrage - erklären warum sie was wie machen und welche Wünsche sie an mich haben. Die Erfahrung daß ich nicht einmal, wenn ich hartnäckig nach einer Erklärung für unverständliche Kritik bohre, eine Antwort bekomme, mache ich nur mit Leuten, die in der Gesellschaft durchaus als normal durchgehen.
VB202.3.3 Kersti: "Du sollst den Satz gar nicht interpretieren!"
V166. Kersti: Dann einigten sich Klasse und Lehrer, ich sei schuld, daß sie mich ärgerten und gaben mir die üblichen Ratschläge
Solches Verhalten halte ich für absolute soziale Unfähigkeit.

Während meiner Erfahrung nach jeder Behinderte oder sonstwie ungewöhnliche Mensch durchaus in der Lage ist, auf Anfrage eine konstruktive Kritik zu liefern, scheinen viele Menschen, die mit all ihren Veranlagungen im Normbereich liegen, sich offensichtlich nicht bewußt zu sein, daß ihre sozialen Erfolge auf das zufällig normal sein und nicht auf soziale Kompetenz zurückzuführen sind. Zusätzlich scheinen sie oft der Ansicht zu sein, sie hätten ein Recht, andere dafür zu bestrafen, wenn sie zufälligerweise nicht normal sind.
O4. Kersti: 2.1 Evolutionäre Herkunft des Mobbings: sei normal oder stirb
O4. Kersti: 4. Defizite der ausgrenzenden Gemeinschaft

 
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2.5 Funktioniert Festhaltetherapie bei Autismus?

Bei der Festhaltetherapie wird das auf dem Schoß festgehalten und in seiner Bewegungsfreiheit blockiert. Die Kinder reagieren hierauf meist zunächst positiv, dann beginnen sie sich zu wehren und bekommen Angst. Die Eltern sollen das Kind weiter festhalten bis es die Gegenwehr aufhält und sich wieder entspannt. In dieser entspannten Phase soll die haltende Person den Bedürfnissen des Kindes stärker entgegenkommen. 10.

Autor: Falk Burchard machte eine Verlaufsstudie zur Festhaltetherapie und kam zu dem Ergebis, daß die Wirkungen weit überwiegend positiv sind, daß aber die schwerer gestörten Kinder weniger Erfolge aufzuweisen haben, als diejenigen Kinder, die weniger Probleme haben. 10.

 
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3. Ist Autismus die Folge traumatischer Erfahrungen?

Viele Menschen weisen sowohl einige ADHS-Symptome als auch einige Symptome von Autismus auf und die beiden Diagnosen treten gehäuft in denselben Familien auf15. S.146f.

VB224. Kersti: Ist Autismus die Folge traumatischer Erfahrungen?

 
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4. Hochsensibilität bei Autismus

In den beiden Erfahrungsberichten, bei denen ein zunächst schwer autistisch gestörtes Kind letztlich zu einem gesunden Erwachsenen heranwächst, spielt die Notwendigkeit, das Kind vor Reizüberflutung zu schützen und auf seine vom Durchschnitt abweichenden Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen dann auch eine erhebliche Rolle bei der Planung der Therapie durch die Eltern13., 14.. Das Vierte Kapitel von Autor: Temple Grandins Buch " Buch: The Autistic Brain." beschäftigt sich mit dem Besonderheiten autistischer Menschen im Bereich der Sinneswahrnehmungen16. S.69-98.

Beispielgeschichte, Kersti:

VA238.1.6 Kersti: Kaum lag die Bettwäsche nicht mehr auf der nackten Haut, waren die Schmerzen weg
VA265.1.3 Kersti: Zahlenkaiser: Die Stimme des Lehrers hat mir buchstäblich wehgetan
Während bei ADHS Konzentrationsstörungen durch erzwungene oder durch die Umstände (z.B. Schule) aufgezwungene Reizüberflutung im Vordergrund steht, stehen bei Autismus und Asperger zwischenmenschliche Probleme, weil der Betroffene aus seiner Hypersensibilität heraus die Welt so anders wahrnimmt, daß er einerseits nicht versteht, warum seine Mitmenschen erwarten daß man seine Gefühle ausspricht, statt sie zu spüren. Andererseits führt die Überflutung mit Sinneswahrnehmungen und Gefühlen aber häufig zu einem unterschiedlich stark ausgeprägen sozialen Rückzug. In seiner Extremform verdrängt der Autist alle Gefühle und versucht weder Gefühle von anderen wahrzunehmen noch selber welche zu fühlen. Mit diversen ritualisierten Trickes, versucht er seinen Körper auf einen Zustand einzuschwingen, der keine massive Überforderung darstellt. Das ist der Autist der sozial nicht erreichbar ist, der nicht sprechen kann und extrem auf Ordnung besteht und Musik und das drehen von Gegenständen verwendet, um sich in einen entspannten Zustand zu bringen. Auf Reizüberflutung reagiert er mit langanhaltendem schrillen Geschrei. Wenn ihm die Anpassung besser gelingt, zeigt sich vor allem, daß Reizüberflutung zu vermeiden sucht indem er Leute nicht ansieht und soziale Kontakte auf ein geringeres Maß als üblich beschränkt. Viele soziale Konventionen sind ihm unverständlich, weil der zu deutlich sieht, was beim anderen los ist. Warum muß ich andere grüßen, wenn man doch auch so merkt, ob ? Warum muß ich Gefühle mitteilen, wenn man das doch spürt? Warum leugnen die Leute Gefühle und Gedanken, die sie doch offensichtlich haben und man muß auf etwas ganz anderes reagieren, das völlig unklar ist. (Klar, wenn man das Gesicht nicht anschaut, sieht man den Gesichtsausdruck auch nicht.)

 
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5. Autisten sind so unterschiedlich, daß diese Diagnose beinahe nutzlos ist

Beim Thema Psychose habe ich den Eindruck, daß diverse Dinge, die einfach nicht in eine Kategorie gehören unter einer einzigen Diagnose zusammengefaßt sind.
VB151. Kersti: Psychosen und feinstoffliche Wahrnehmung
Denselben Eindruck habe ich auch bei Autismus, Asperger und verwandten Zuständen, zu denen man auch ADHS hinzuzählen müßte, aber es nicht tut. Während alle Menschen im autistischen Spektrum und auch ADHSler hochsensibel sind und diverse Anomalien in der Wahrnehmungsverarbeitung haben und im sozialen Umgang miteinander haben, gibt es wenige Gemeinsamkeiten darin, wie genau sie sich von Otto Normalverbraucher unterscheiden. Es gibt hunderte an identifizierten genetischen Unterschieden, für die nachgewiesen ist, daß sie zu Autismus beitragen können18.. Zwei Fälle von Autismus müssen daher keinerlei genetische Gemeinsamkeiten haben, die darüber hinausgehen, daß beides genetisch Menschen sind. Autisten unterscheiden sich darin, wie ihr Gehirn vernetzt ist, von normal veranlagten Menschen. Allerdings sind die Vernetzungen von Autist zu Autist sehr unterschiedlich. Außerdem gibt es diverse Autisten die vorwiegend nichtsprachlich denken und bei denen das zu einem Teil der Autismussymptome beiträgt. Das trifft aber nicht auf alle Autisten und Asperger zu und diejenigen, die nichtsprachlich denken, tun das auf sehr unterschiedliche Weise.

Insgesamt entsteht der Eindruck, daß normale Menschen bei allem, was ziemlich weit vom Durchschnitt abweicht, sehr ungenaue geistige Kategorien anlegen. Im Fall von Autismus und Asperger kommt mir diese Kategorie so ungenau vor, daß man nichts mehr damit anfangen kann, wenn man von der Diagnose eine Behandlung ableiten will. Schließlich macht es einen Unterschied, ob ein Mensch wie Temple Grandin bildlich denkt und wegen dieser sehr konkreten Denkweise Probleme hat abstrakte Begriffe zu verstehen, aber gut Gebäude und Anlagen planen kann oder ob man wie ich nichtsprachlich-vernetzt denkt und damit eine sehr abstrakte Denkweise hat, die sich gut eignet, um komplexe vernetzte Systeme zu verstehen, wie es Ökosysteme sind, aber Schwierigkeiten hat, das vernetzte Verständnis eines Sachverhaltes in einen linearen Text umzusetzen.

Autismus als Diagnose ist viel zu ungenau, um davon eine Behandlung abzuleiten, die über "dieser Mensch braucht viel Ruhe" hinausgeht. Autismus als Diagnose ist viel zu ungenau, um davon einen Lebensentwurf abzuleiten, der vernünftige berufliche Perspektiven beinhaltet. Autismus als Diagnose ist viel zu ungenau, um davon eine Medikation abzuleiten oder zu entscheiden, ob Medikamente überhaupt notwendig oder hilfreich sind. Wenn man "Autismus" diagnostiziert hat, muß man mit der eigentlichen Diagnose des Problems und einer Suche nach geeigneten Lösungsansätzen erst beginnen!

Kersti

 
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Quellen

  1. Autor: Terence Dowling: Prä- und perinatale Erfahrungen von Menschen mit autistischen Tendenzen. Auf der Internetseite: Quelle: Adelphos – Neue Tatsachen des Lebens, damals: www.adelphos.de
  2. Autor: Barbara B. Montee, Autor: Raymond G. Miltenberger, Autor: David Wittrock: An experimental analysis of facilitated communication. In: Zeitschrift: Journal of applied behavior analysis 1995, 282 189-200 NUMBER2 (SUMMER 1995) (Welt: Volltext)
  3. Autor: Gina Green: Facilidated Communication: Mental Miracle or Slight of Hand? In: Zeitschrift: Behaviour and Social Issue, Volume 4, Number 1 & 2, 1994 (Welt: Volltext)
  4. Autor: Rosemary Crossley, Autor: Chris Borthwick: What constitutes evidence? Why the debate about facilitated communication is important for ISAAC. Paper written for the proceedings of the Seventh Biennial ISAAC Research Symposium, Odense, Denmark, August 2002 (Welt: Volltext 1, Welt: 2)
  5. Autor: Alicia A. Broderick, Autor: Christi Kasa-Hendrickson: “Say Just One Word at First”: The Emergence of Reliable Speech in a Student Labeled with Autism. In: Zeitschrift: JASH, 2001. Vol. 26, No. 3, 13-24 (Welt: Volltext)
  6. Autor: Donald N. Cardinal, Autor: Darlene Hanson, Autor: John Wakeham: Investigation of Authorship in Facilitated Communication. In: Zeitschrift: Mental Retardation, Vol 34, Nr. 4 (Aug 1, 1996): S.231-242. (Welt: Volltext)
  7. Autor: Donald N. Cardinal, Autor: Mary A. Falvey: The Maturing of Facilitated Communication: A Means Toward Independent Communication. In: Zeitschrift: Research and Practice for Persons with Severe Disabilities, 2014, Vol. 39(3) 189 –194 (Welt: Volltext)
  8. Autor: Cheryl A. Burgess, Autor: Irving Kirsch, Autor: Howard Shane, Autor: Kristen L. Niederauer, Autor: Steven M. Graham, Autor: Alyson Bacon: Facilitated Communication as an ideomotor response. In: Zeitschrift: Psychological Science, vol. 9, no. 1, January 1998 (Welt: Volltext)
  9. Autor: Norbert Störmer, Autor: Wolfgang Kischkel: Festhaltetherapie. In: Zeitschrift: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 37 (1988) 8, S. 326-333 (Welt: Volltext)

     

  10. Autor: Falk Burchard: Verlaufsstudie zur Festhaltetherapie - Erste Ergebnisse bei 85 Kindern. In: Zeitschrift: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 37 (1988) 3, S. 89-98 (Welt: Volltext)
  11. Autor: Arno Gruen, Autor: Jirina Prekop: Das Festhalten und die Problematik der Bindung im Autismus: Theoretische Betrachtungen. In: Zeitschrift: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie 35 (1986) 7, S. 248-253 (Welt: Volltext)
  12. Autor: Maithilee Kunda, Autor: Ashok K. Goel: Thinking in Pictures: A Fresh Look at Cognition in Autism. In: Autor: Brad Love, Autor: Ken McRae, Autor: Vladimir Sloutsky (Eds.): Proceedings of the 30th Annual Conference of the Cognitive Science Society. (pp. 321-326). Austin, TX: Cognitive Science Society, 2008. (Welt: Volltext)
  13. Autor: Barry Neil Kaufman (Aus dem Amerikanischen von Ursula Locke): Buch: B21.1 Ein neuer Tag Wie wir unseren autistischen Sohn aus seiner Einsamkeit befreiten. (1993) Bergisch Gladbach: Bastei-Lübbe. ISBN 3-404-61255-8
  14. Autor: Gunde Kottenrodt: Buch: B21.2 Kristall- und Sternenkinder. Meine Erfahrung mit Autisten- und Asperger-Kindern. (2012) United P. C. Verlag ISBN 978-8490156520
  15. Autor: Ludger Tebartz van Elst: Buch: B21.10 Autismus und ADHS. Zwischen Normvariante, Persönlichkeitsstörung und neuropsychiatrischer Krankheit. (2016) Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, ISBN 978-3-17-028687-0
  16. Autor: Temple Grandin, Autor: Richard Panek: Buch: B21.4.2 The Autistic Brain. Exploring the strength of a different kind of mind. (2014) London: Rider Books, ISBN: 978-1-846-04449-6
  17. Autor: Martina Grünebaum: Buch: B21.12 Alle anderen sind komisch. (2018) Norderstedt: Books on Demand. ISBN: 978-3748108986
  18. Autor: Nouchine Hadjikhani, Autor: Nicole R. Zürcher, Autor: Ophelie Rogier, Autor: Torsten Ruest, Autor: Loyse Hippolyte, Autor: Yehezkel Ben-Ari, Autor: Eric Lemonnier: Improving emotional face perception in autism with diuretic bumetanide: A proof-of-concept behavioral and functional brain imaging pilot study. In: Zeitschrift: Autism, Volume 19 Issue 2, February 2015 (Welt: Volltext)
  19. Autor: Oliver Sacks (Deutsch von Dirk van Gunsteren): Buch: B163.1 Stumme Stimmen. Reise in die Welt der Gehörlosen. (2001) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, ISBN 3-499-19198-9

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