erste Version: 1/2019
letzte Bearbeitung: 1/2019

Chronik des Aufstiegs: Die Pforten der Hölle - Die Beschützer der Menschheit vor den Geistern der Verzweiflung

F1198.

Als die Flüchtlinge am Abend bei uns eintrafen und ich ihre Unterbringung organisierte, war ich schockiert zu sehen, daß das alles nur Kinder waren

Vorgeschichte: F1237. Khar: Jetzt aber war völlig klar, daß es nur einen Zeitpunkt gab, wo ich mich um Verletzte kümmern konnte und das waren eben die Gebetszeiten

Riko erzählt:
Als die Flüchtlinge am Abend bei uns eintrafen und ich ihre Unterbringung organisierte, war ich schockiert zu sehen, daß das alles nur Kinder waren. So ganz traf das natürlich nicht zu, aber die Älteren waren zu einem so großen Anteil verletzt oder krank, daß ich mich fragte, wie sie ihren Alltag geregelt bekamen.

Andererseits war ich auch beindruckt, wie diszipliniert diese halben Kinder zusammenarbeiteten. Es war nicht die Art Diszipilin, die durch Befehle und Strafandrohung aufrecht erhalten wird, sondern die, die entsteht, wenn in einer Gemeinschaft jeder sehr genau weiß, wann er warum was machen muß und es deshalb genau dann tut, wenn es gebraucht wird. Ein leises Wort, eine kaum sichtbare Geste und der jeweils andere wußte genau, welche Art Hilfe derjenige brauchte, der ihn angesprochen hatte. Sie arbeiteten in reibungsloser Effizienz zusammen, während sie die Pferde abschirrten, die Wagen ausluden und die Verletzten in die Krankenzimmer brachten.

Obwohl ich diese reibungslose Effizienz beobachtete, war ich schockiert, daß Tharon mir eine fünfunzwanzigjährige Ärztin vorstellte, mit der unser Arzt die Behandlung der Kranken und Verletzten absprechen sollte, eine zwanzigjährige Schulleiterin, die erklären sollte, wie das mit der Schule geregelt gehört und so fort.

Am Morgen wurde mir mitgeteilt, daß in der Nacht zwei weitere Mitglieder der Gruppe wieder aufgetaucht waren, von denen sie geglaubt hatten, sie wären tot. Einer davon war ein fünfzehnjähriger Junge, von dem Tharon meinte, da er zu krank sei, um den Laden zu leiten, müsse dieses Kind das tun. Ehrlich gesagt war ich der Ansicht, daß der alte Mann offensichtlich dabei war, dement zu werden.

Daher berief ich unseren Rat ein, um unabhängig von diesem Kinderrat zu überlegen, wie man die Kinder davor bewahren kann, in eine Katastrophe zu rennen, die sie sich garantiert kreieren würden, wenn man sie sich allein überließe. Wir trafen uns also in einem zweiten Konferenzraum und trugen zusammen, was wir über die Probleme wußten und was wir tun konnten, um den Kindern zu helfen. Denn Hilfe brauchten sie, das war klar.

Nach der Konferenz war ich mir sicher, daß diese Kinder Probleme zu lösen hatten, die ebensoviele Erwachsene nicht hätten lösen können. Tharon hatte ganz sachlich gesagt, daß viele seiner Leute durch magische Angriffe verletzt worden seien. Ehrlich gesagt, habe ich nicht wirklich verstanden, was er mir damit hatte sagen wollen, bis ich die Beschreibung unserer Heiler bekommen hatte, für die diese Verletzungen der Schock ihres Lebens war. Leute die sich in Krämpfen wanden, vor Schmerzen wimmerten und andere Dinge, von denen ich mir nie hatte vorstellen können, daß ein magischer Angriff sie bewirken kann - und unser Standort beschäftigte sich im Gegensatz zu den meisten Ordensstandorten explizit mit Heilmagie. Die junge Frau, die mir Bericht erstattete, glaubte, daß die meisten dieser Verletzungen unheilbar wären. Sie sagte aber auch, daß die Kinder da optimistischer seien als unsere Heiler.

Einige andere waren offensichtlich durch die magischen Angriffe wahnsinnig geworden, so erzählte eine Frau ständig, man wolle sie in die Häckselmaschine werfen. Die Kinder waren auch dabei überzeugt, daß man das heilen könne.

Mit den Kindern war auch was komisch, denn einige Leute sagten, daß sie sich über Ereignisse unterhalten hatten, die vor ihrer jeweiligen Geburt stattgefunden hatten, als wären sie dabei gewesen. So ganz beiläufig, nach dem Muster "Wir könnten das ja so machen wie damals in Moskau", wobei Tharon bei der Flucht aus Moskau noch ein Kind gewesen war und die besagten Kinder also ganz bestimmt damals noch nicht gelebt haben können. Sie schienen Jesus für jemanden zu halten, zu dem man nicht nur beten kann, sondern der einem auch Dinge erklärt und Fragen beantwortet. Jedenfalls hatten mehrere der Kinder einen unserer Leute gefragt, warum er sich selbst fragt, was Jesus wohl in dieser Situation getan hätte und warum er nicht stattdessen Jesus fragt, der das doch sicherlich viel besser wüßte. Dieselbe Frage wurde einigen anderen in Bezug auf Erzengel Michael gestellt.

Jedenfalls hatten wir am Abend etwas zusammen, von dem wir annehmen, daß es eine einigermaßen ausreichende Hilfe für die Kinder war, die Probleme so gut wie möglich zu bewältigen. Die erste Überraschung kam, als Rita mir Bericht erstattete - offensichtlich hatten die Kinder auf ihrer Konferenz doch keine Katastrophe produziert sondern Pläne, die trotz der begrenzten Mittel, mit denen sie arbeiteten, Hand und Fuß hatten, sie hätten nur keinerlei Hilfe von uns eingeplant. Wir überlegten also wie wir ihnen auf möglichst diplomatische Weise unsere Hilfe anbieten konnten, als der fünfzehnjährige Khar aufkreuzte und diese ganzen Höflichkeiten umging, indem er schlicht darum bat, die Protokolle der Sitzungen auszutauschen, so daß jeder über das Denken der jeweils anderen Seite informiert sei. Ich konnte diese Bitte natürlich schlecht ablehnen, denn ... Ach das ganze wirkte so souverän und selbstbewußt, daß ich mir albern vorgekommen wäre, wenn ich ihn jetzt als Kind behandelt hätte. Falls es seinen Stolz kränkt, wenn wir alles, was sie hätten planen sollen, parallel auch noch mal geplant haben, dann muß er das wohl mit sich selber abmachen, wenn er mit einer solchen Bitte ankommt.

Ich ging also am nächsten Morgen zu Khar - und stellte fest daß der Junge bei Tharon war, der aber wohl mitten beim Frühstück eingeschlafen war, so daß wir die Angelegenheit letztlich in dem Zimmer besprachen, was wir Khar zugewiesen hatten. Er fragte zuallererst ob er das Protokoll mal schnell durchlesen könnte und tat das in einem Tempo, das mich verblüffte, denn er las offensichtlich Zeile für Zeile. Es war kein flüchtiges Überfliegen. Spätestens nach der ersten halben Seite fing er an amusiert vor sich hin zu grinsen und wirkte mit jeder weiteren Seite noch amusierter. Schließlich fragte ich ihn, was daran eigentlich so lustig war.
"Ach das ist Selbstironie. Mir ist beim Lesen bewußt geworden, daß wir offensichtlich so daran gewöhnt sind, jedes Problem aus eigener Kraft bewältigen zu müssen, daß wir im Traum nicht auf den Gedanken kommen, daß uns jemand helfen wollen könnte!" antwortete er.
Mich erschreckte dieser Gedanke.
"War es denn die letzten Jahre so schlimm?" fragte ich.
Irgendetwas schien ihn an meiner Frage zu irritieren, denn er überlegte geraume Weile, ehe er antwortete:
"Schlimm ist nicht das Probleme selber lösen müssen - davon wird man letztlich nur kompetent. Schlimm sind die Probleme an sich, die Gründe wegen denen man die Probleme selber lösen muß."

"Das, was du in der letzten Zeit so gesagt hast, weckt irgendwie meine Neugier." sagte ich.
Wieder erschien dieses amusierte Grinsen auf Khars Gesicht.
"Soll ich das so verstehen, daß sie am liebsten hinter mir herschleichen würden, um zu beobachten, wie wir unsere Probleme selber lösen?" fragte er.
Ich nickte.
"Machen sie das ruhig. Die Leute sind so daran gewöhnt, daß egal mit wem ich irgendwohin komme, immer ich die Anweisungen gebe, daß sie selbst dann tun werden, was ich sage, wenn ich sie dabei habe und sie die genau entgegengesetzten Anweisungen geben. Da ich annehme, daß sie so weit nun wirklich nicht gehen werden, bin ich sehr optimistisch, daß es ihnen nicht gelingen wird, meine Autorität zu untergraben."
Er hatte wieder dieses amusierte Grinsen drauf.

Ich folgte ihm also tatsächlich, um zu sehen, was er tat. Beim losgehen fragte er:
"Sagen sie mal, welches Wort geistert ihnen bei dem Gedanken an uns eigentlich eher im Kopf herum - Jugendliche - oder gleich Kinder?"
Ich stutzte, fragte mich wie man die Frage diplomatisch beantworteten sollte, gab mit dann einen Ruck und sagte ehrlich: "Kinder."
"Dacht's mir doch!" meinte er und grinste.
Nein, also an Selbstbewußtsein mangelte es diesem Kind nicht.

Kersti

Fortsetzung:
F1199. Riko: "Und der Junge ist ein Heiliger." sagte sie in einem verehrenden Tonfall, den ich gar nicht von ihr kannte