"Was kann ich für dich tun?" fragte ich leise.
"Ich habe noch einen Bruder." sagte er.
Stimmt. An den Bruder hatte ich nicht gedacht. Der Mönch. Das
mißratene Kind. Zumindest in den Augen des königlichen
Vaters. Ich hatte bisher nichts Schlechtes über ihn gehört.
Ich nickte.
"Ich muß es ihm erzählen. Und ich möchte, daß
du mich begleitest."
"Gut, dann sage ich den Gardisten Bescheid, die uns begleiten
werden."
Er schaute mich erstaunt an. Offensichtlich hatte er vorgehabt, allein
mit mir dorthinzureiten. Doch er protestierte nicht. Noch nicht. Das
würde kommen, sobald ihm klarwürde, daß ich ihn
nirgendwohin mehr ohne Wache gehen ließe.
Unterwegs redete keiner. Jeder der Männer hatte in dem Kampf Freunde verloren. Vielleicht auch einen Bruder oder Sohn. Mir tat die warme Abendsonne gut, die als einzige in der bedrückten Stille Wärme spendete.
Das Kloster lag einsam von seinen Feldern umgeben in der Wildnis. Als
wir von den Pferden stiegen, wartete der Bruder des Königs schon
an der Tür. Er hatte die bedrückte Stille sofort bemerkt und
sah seinen Bruder fragend an. Ein paar Novizen führten die Pferde
in den Stall.
"Was ist los, Geron?" fragte er, als sein jüngerer Bruder
ihn nur schweigend anstarrte.
"Ich muß dir etwas erzählen." antwortete er.
"Dann komm in mein Haus, da können wir reden." sagte er
und drehte sich in Richtung des Häuschens um, das er als Abt
des Klosters bewohnte.
Ich gab den Männern einen Wink, daß wir alle mitgehen
würden und sie gehorchen. Geron sah mich an, als wolle er mich
erschlagen. Der Mönch zog die Augenbrauen hoch und sah mich
erstaunt an:
"Ist es hier denn so gefährlich?" fragte er tadelnd.
"Heute ist fast die gesamte königliche Familie bei einem
Attentat umgebracht worden. Wir wissen nicht, wer die Attentäter
waren." antwortete ich.
Einen Augenblick sah er mich schweigend und schockiert an. Dann dachte
er kurz nach und befahl:
"Dann können die Männer im Vorraum und vor dem Fenster
Wache halten. Teri - du sagst der Küche bescheid. Sie werden
Hunger haben nach so einem Tag."
Ich atmete auf, als ich diese ruhigen und vernünftigen Worte
hörte. Es mußte schrecklich für ihn sein, was er zu
hören bekommen hatte. Doch seine ruhige zuversichtliche Reaktion
bewies, daß er in dem Jahr als Abt des Klosters gelernt hatte, an
alles Wesentliche zu denken und die richtigen Befehle zur richtigen
Zeit zu erteilen. Hier konnte ich mich entspannen.
"Erit, Schalar, ihr geht ans Fenster, Kariv, du sorgst dafür,
daß sie alle halbe Stunde abgelöst werden. " befahl ich.
Die Männer nickten und gehorchten.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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