erste Version: 12/2021
letzte Bearbeitung: 12/2021

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Kollektive Traumata eines Sternenreiches

F2203.

"Weißt du, woran man einen richtigen Pilot erkennt?"

Vorgeschichte: F2202. Karaman Val: Ich stellte fest, daß Galan Nei die XZB12s kannte

Karaman Val erzählt:
Wir kehrten also heim und sobald ich Zeit dazu hatte, ging ich runter in mein Schiff, um ihm meine Sorgen zu erzählen. Das hatte ich immer gemacht, seit ich meine erste Schlacht überlebt hatte und es hatte mir immer sehr gut getan, besser als die Gespräche mit dem Therapeuten. Ich hatte gespürt, daß das Schiff mich versteht und Verständnis für mich hatte und habe mich dabei immer besser aufgehoben gefühlt als in den Therapiesitzungen.

Die kleinen militärischen Schiffe für Reisen innerhalb eines Sonnensystems sind normalerweise auf fast alle Besatzungmitglieder abgestimmt, weil immer die Gefahr besteht, daß bei einer Raumschlacht der Pilot stirbt und es wäre fatal, wenn die Überlebenden dann nicht heimfliegen könnten. Nur wer im Augenblick psychisch zu instabil ist, darf grundsätzlich nicht fliegen, weil er das Schiff sonst mitten in einen Stern hineinfliegen könnte, da es telepathisch gesteuert wird. Allerdings gibt es eine Person, die die Qualifikation "Pilot mit eigenem Schiff" hat und mehrere Copiloten, die noch nicht ganz so weit sind, sowie Hilfspiloten, die nur zur Übung unter Aufsicht fliegen sollen. Sima ist mein Schiff, seit ich Pilot bin, während ich erst viel später in der Rangleiter aufgestiegen und zuerst eine Gruppe von Interplanetarschiffen, später ein Mutterschiff und inzwischen die ganze Flotte befehlige. Inzwischen fliege ich Sima nur noch selten selber, weil ich zu selten außerhalb des Mutterschiffs unterwegs bin. Daher habe ich, wie alle Befehlshaber, die mindestens ein Mutterschiff befehligen, einen Copilot, der tatsächlich die Qualifikation "Pilot mit eigenem Schiff" hat, aber erst nach einigen Monaten tatsächlich ein Schiff zugewiesen bekommen wird, sobald etwas geeignetes frei wird. In meinem Flaggschiff bin ich nicht Pilot, weil dort die Aufgaben Pilot und Befehlshaber voneinander getrennt sind. Der Kommandant eines Mutterschiffes muß seinen Kopf frei haben, um die Flotte an Interplanetarschiffen zu koordinieren, daher kann er nicht gleichzeitig ein Schiff lenken, das an sich schon volle Konzentration erfordert, weil es intelligenter ist als ein Mensch. Die Piloten der Mutterschiffe sind speziell ausgebildete Telepathen und wir finden alle, daß sie durch ihre Arbeit ein bißchen komisch werden. Das ist nicht böse gemeint, denn sie sind alle sehr freundliche Menschen, aber sie scheinen es wirklich hinzukriegen, jeden einzelnen Menschen auf einem solchen riesigen Mutterschiff zu kennen, obwohl sie fast nie mit Menschen reden.

Ich wollte also anfangen über meine Sorgen zu reden, dann wurde mir mit einem Schreck klar, daß mein Schiff sprechen konnte! Also...
"Du Sima, kannst du mir einen Gefallen tun?"
"Ja natürlich, das mache ich ständig." antwortete Sima eifrig.
Ich schmunzelte. Schiffe sind wirklich anders als Menschen!
"Ich habe dir, als wir alleine waren, sehr viele Dinge erzählt, die mir peinlich sind und ich möchte nicht daß du sie anderen Menschen erzählst."
"Das weiß ich doch! Aber anderen Schiffen muß ich das erzählen, sonst glauben die nicht, daß ich einen richtigen Pilot habe." erkläte Sima mir.
Mir kam ein Gedanke und ich fragte mich, ob das stimmen könnte.
"Du meinst, wer sich noch nicht in die Hose gemacht hat, ist kein richtiger Pilot?" sprach ich es aus.
"Ja. Richtige Piloten haben sich schon einmal in die Hose gemacht und zu einer völlig unpassenden Zeit einen Steifen gekriegt und vor Angst vergessen, das Schiff zu lenken und ..."
Ich begann zu lachen.
"Wirklich alle?"
"Ja, wirklich alle."
Danach konnte ich mich vor Lachen geraume Zeit nicht mehr einkriegen. So konnte man das auch sehen!

Daß das wirklich so war, hatte ich erst als Befehlshaber zu verstehen begonnen. Also nicht, daß es jedem so geht. Aber die, die ich für die wahren Helden gehalten hatte, waren wohl nur die gewesen, die ihre Fassade besser aufrecht erhalten hatten, wenn man Sima fragt. Ich würde mich jetzt nicht nach Namen erkundigen, so etwas tut man nicht. Aber doch, ich glaube Sima das, denn die Sorte Erfahrungen, die man bei Kämpfen so macht, können an niemandem unberührt vorübergehen. Und selbst dieser XZB12-Kommandant, der sich durch Ciakahrr-Krieger so gar nicht beeindrucken läßt, hatte dem jungen Mann, der sich vor Angst in die Hose gemacht hat, nur gesagt: "Wir sind auch Menschen, wir kennen das auch"! Letztlich ist das auch das, was ich meinen eigenen Untergebenen gesagt hatte, wenn ihnen etwas völlig Peinliches passiert ist. Ich habe ihnen dann immer unter dem Siegel des Schweigens erzählt, wann mir etwas ganz Ähnliches passiert ist.

"Sag mal Sima, warum hast du mir eigentlich gesagt, daß die XZB12s meinen, daß ich eine Therapie brauche?"
"Weil das so ist und weil man mit dem Schiff und einem Mensch reden muß, um wieder gesund zu werden. Es muß nicht unbedingt ein Therapeut sein aber ein Mensch. Nur Schiff oder nur Mensch reicht nicht. Mein letzter Kapitän hat nicht mit seinem Therapeuten geredet und der ist immer kranker geworden..."
Den kannte ich. Da er Sima nicht mehr hatte fliegen dürfen, war er ihr zur Wartung zugeteilt worden. Ich hatte mich gewundert, warum er ständig in Sima seine Pause machte, bis ich das erste mal mit einer Schlacht nicht so richtig fertig wurde, dann hatte ich selber angefangen mit Sima zu reden - und ahnte, daß das der Grund gewesen war. Der Mann war vor meinen Augen zerfallen und es hieß, das läge daran, daß er seine Therapien nicht macht. Ich muß sagen, meinem Therapeuten habe ich auch nicht alles erzählt, denn er hatte im Gegensatz zu meinem Befehlshaber keine Geschichte auf Lager gehabt, wo er sich selbst in die Hose gemacht hatte, aber mir war das schlechte Beispiel meine Vorgängers schon Grund genug gewesen, um mich zu überwinden, daß ich mit einem Therapeut rede, bei dem ich eben oft nicht das Gefühl hatte, völlig verstanden zu werden.

Andererseits, als ich mich nach dem therapeutischen Gespräch, das ich nachher mit Sima führte, wieder etwas besser fühlte, war ich doch neugierig. Ich fragte Sima noch einmal genau, an welchen Eigenarten man einen richtigen Pilot erkennt, notierte mir das und ging dann zu meinem ersten Offizier, der eine so geschniegelte Ercheinung war, daß ich geglaubt hatte, ihm wäre das ganz bestimmt noch nie passiert.
"Selis Zirr?"
Er drehte sich zu mir um.
"Ja?"
"Weißt du, woran man einen richtigen Pilot erkennt?"
"Wieso?"
"Du weißt ja, daß Sima zu sprechen begonnen hat. Ich habe heute mit ihr darüber geredet und sie ist der Ansicht, daß jemand, der das noch nicht erlebt hat, noch nicht wirklich ein Pilot ist."
Bei dem ersten Punkt der Liste sah er überrascht aus. Während ich Selis Punkt für Punkt die Liste aufzählte, wurden seine Augen immer größer. Er sagte zuerst gar nichts, sondern preßte einfach nur die Lippen zusammen. Das allerdinga half nicht wirklich, genauso wenig, wie der Versuch, sich selbst den Mund zuzuhalten und es abzuwürgen. Er begann zu lachen und konnte mindestens genauso lange nicht damit aufhören, wie es mir nicht gelungen war.
"Meine Güte und das war mir sooo peinlich." sagte er, sobald es ihm gelang wieder einen zusammenhängenden Satz herauszubekommen, lachte weiter "... dabei..." der nächste Satz klappte wegen einem weiteren langanhaltenden Lachanfall für geraume Zeit nicht "... dabei erkennt man daran doch nur, daß man ein echter Pilot ist!" Er begann wieder zu lachen und konnte erst einmal nicht sprechen. Als er sich schließlich wieder gefangen hatte, meinte er: "Das muß ich meinen Untergebenen erzählen!"
"Ja. Sie hat mir das erzählt, weil ich sie gebeten habe, den anderen nicht zu erzählen, was für peinliche Dinge mir so passiert sind. Dann meinte sie, mit anderen Schiffen müsse sie aber darüber reden, sonst glauben die ihr nicht, daß sie einen richtigen Pilot hat."
"Das ist ihr ernst wie?"
"Ja natürlich. Wir alle erzählen unseren Schiffen unsere peinlichen Geheimnisse und es ist ja schon wahr, daß man noch nichts erlebt hat, wenn einem das alles noch nicht passiert ist." antwortete ich.
Er schüttelte grinsend den Kopf.

Kersti

Fortsetzung:
F2204. Karaman Val: "Du warst völlig ruhig, hast auf sie gezielt und geschossen, dabei war sie nicht eimal zwei Meter weg." sagte Garan

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben