"Hallo Mädchen." sprach ich sie an, nachdem ich mich
versichert hatte, daß mein Herr außer Hörweite war.
"Faß mich nicht an!" brüllte sie mich an.
Menschen haben halt immer Angst.
"Ich setze mich hier ganz ruhig auf den Boden,
dann kann ich dich gar nicht anfassen." sagte ich.
"Doch das kannst du und dann frißt du mich auf..."
"So etwas tue ich nicht, Mädchen. Ich habe noch nie
Menschenfleisch gegessen."
"Aber alle sagen das!"
"Was ist unten im Dorf passiert?"
"Der Hans ist verschwunden und die Lori.
Und dann ist der Greschi gekommen und hat
gesagt du hast ihn gefressen."
Der Greschi war mein Herr.
"Der Greschi ist ein Lügner. Und ich glaube,
ich muß mal ein ernstes Wörtchen mit ihm
reden." sagte ich.
"Das kannst du doch nicht. Er hat dich verzaubert." warf sie ein.
"Blödsinn. Er bildet sich nur ein, daß er mich
verzaubert hat. Und so lange er nichts wirklich Schlimmes tut, spiele
ich mit. Aber wenn das stimmt, ist er zu weit gegangen. Warum
hast du geweint?"
"Ich hasse den Greschi. Ich will nicht seine Frau sein. Ich will
weg von hier!"
"Wo willst du hin?"
"Ich will in der Wildnis einen eigenen Hof gründen und den
Peri heiraten."
"Will der Peri das auch?"
"Ja. Wir hatten schon alles vorbereitet und dann kam der Greschi
und alle im Dorf haben gesagt, ich muß ihn heiraten, weil du
sonst alle umbringst."
"Also gut. Dann gehen wir zusammen zu Peri und ihr beiden packt
alles ein, was ihr mitnehmen wollt - wenn ihr in Sicherheit seid,
befasse ich mich dann mit Greschi."
Das Mädchen brauchte nur wenige Stunden, um mit ihrem Freund alles zusammenzupacken, was sie mitnehmen wollte. Die erste halbe Tagesreise half ich ihnen beim Tragen. Dann kehrte ich zum Hof meines Herrn zurück.
Er wartete schon auf mich und war stinksauer.
"Wo ist meine Frau?" brüllte er mich an.
"Sie wollte nicht dableiben." antwortete ich.
"Wo ist sie? Ich habe dir gesagt, du sollst aufpassen, daß
sie nicht wegläuft!"
"Sie wollte nicht da bleiben und ich kann Frauen nicht festhalten,
weil sie davon krank werden." entgegnete ich.
"Wo ist sie?" forderte er zu wissen.
"Weg." antwortete ich.
"Wenn du sie bis morgen früh nicht zurückgebracht hast,
bringe ich dich um. Geh jetzt."
"Verstanden." antwortete ich und ging in den Wald.
Hinter den ersten Büschen machte ich halt
und beobachtete heimlich meinen Herrn.
Als er das Haus verließ, folgte ich ihm. Er ging in Richtung Dorf machte aber. bevor er dort ankam, an ein paar Büschen halt und zog einige Zweige zur Seite. Darunter befand sich die Leiche eines Menschen. Er hob sie auf und trug sie tiefer in den Wald. Ich folgte ihm ein Weilchen, dann hielt er an und legte die Leiche auf dem Boden. Es war ein Mann.
Tatsächlich.
Ich trat aus meinem Versteck hervor, griff ihn am Arm und fragte
trügerisch sanft:
"Woher hast du diese Leiche?"
"Die habe ich im Wald gefunden."
"Du wußtest von der Leiche unter den Zweigen. Woher?"
"Ich wußte gar nichts, ich habe sie nur durch
Zufall gefunden!"
"Du hast ihn totgemacht und im Dorf erzählt,
daß ich es war."
"Nein!"
"Oh doch, so war es."
Er begann um Gnade zu winseln, als ich ihn
hochhob, entwaffnete, mit seinem Gürtel
fesselte und ins Dorf brachte.
Die Menschen verschwanden so schnell sie konnten in ihren Häusern, als sie mich sahen, aber ich wußte, sie hörten mir zu, als ich erzählte, was ich beobachtet hatte und danach meinen gefesselten Gefangenen auf dem Dorfplatz zurückließ.
Später hörte ich, daß sie ihn am nächsten Tag aufhängten. Offensichtlich hatte er sich sehr viel tyrannischer gegenüber dem Dorf verhalten, als ich geglaubt hatte.
Ich verließ danach diese Gegend. Meinen schönen Golemkörper behielt ich, denn es war der beste Körper, den ich gehabt hatte, seit ich mich erinnern kann.
Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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