F1739.

Nachdem ich einiges über die Naivität von Zuchtsklaven geschrieben habe, muß ich auch noch etwas zu der Naivität von Dira sagen

Vorgeschichte: F1738. Der Leiter der Polizeidienststelle: Ich fragte mich, wie Menschen, die wie Schlachttiere in Ställen gehalten und denen Bildung vorenthalten wurde, lernen konnten, eine so weitsichtige Politik zu machen
F1457. Turin vom hohen Licht: Dabei kann sich jeder ausrechnen, daß wir bei jeder Schlacht zu viele Soldaten verlieren und dadurch auf Dauer den Krieg verlieren werden

Saman XZB12-123-77 erzählt:
Ich habe einen großen Respekt vor Treron, schon weil ihm jeder heute lebende Zuchtmensch viel zu verdanken hat, aber ich muß schon sagen, selbst die Jungen, die in den Palast geschickt wurden, als Talis vom hohen Licht studieren sollte, inzwischen sehr viel weltoffener als Treron. Das ist auch kein Wunder, denn er hatte ja immer noch nichts kennengelernt als die Zuchtstation und die Thorion. Trotzdem war es ein komisches Gefühl, von Treron Ansichten zu hören, die ich vor zehn Jahren hatte, als ich in den Palast kam. Es wurde wirklich Zeit, daß er mehr von der Welt zu sehen bekommt, also forderte ich Treron heraus, mit mir einen Ausflug auf den Boden zu machen.

Ich achtete darauf für diesen Ausflug eine eher ländliche Gegend auszuwählen, wo eine gut situierte Mittelschicht lebt und keine Slums in der Nähe sind, denn dann bestand nicht die Gefahr, daß jemand meine Brüder in einer Weise angehen könnte, die sie als gefährlich einstufen könnten. Meist passiert auch dann nicht viel, weil wir kämpferisch so überlegen sind, daß wir es uns leisten können, Leute kampfunfähig zu machen, ohne ihnen ernsthafte Verletzungen zuzufügen, aber der Ärger, der aus so etwas entstehen würde, wäre immer noch beträchtlich.

Ich achtete auch darauf, daß die ersten Bäume, die sie zu sehen bekamen einsam genug lagen, damit wir Zeit hatten, uns die Bäume anzusehen, ehe jemand einzugreifen versuchen könnte. Als dann alle ausschwärmten, um Leute anzusprechen merkte ich, daß es die Polizei auf uns abgesehen hatte. Ich fragte mich, wie es eigentlich kam, daß sie meine Brüder allesamt höflich zum Polizeirevier komplimentierten, wie ich auf meinem Überwachungsgerät sehen konnte. Treron und seine Offiziere trugen natürlich ein Funkgerät bei sich, mit dem ich ihre Position feststellen konnte, weil wir das als Sicherheitsmaßnahme abgemacht hatten. Ich begab mich also, als sie alle eingesammelt hatten, auch zum Polizeirevier und wurde auf halber Strecke angesprochen, während ich noch überlegte, warum das, was ich beobachtete, geschah. Die Polizei mußte einen Grund für dieses Vorgehen haben und ich kam einfach nicht drauf, schließlich hatten wir den Behörden klar gemacht, daß unsere Brüder mit Respekt zu behandeln seien. Über mangelnden Respekt konnte man sich auch nicht beschweren. Ich verstand aber nicht, warum sie meinten, uns unbedingt im Polizeirevier haben zu wollen.

Treron wirkte nicht, als hätte er sich die Frage auch nur gestellt, denn für ihn schien ein Mensch, den man ansprechen und nach seinem Alltag - und dem Pferd - fragen konnte so gut wie jeder andere. Ihm war die Sichtweise des einfachen Polizisten so unbekannt wie die der Privatleute und wo er bisher gelebt hatte, hatte jeder Uniform getragen. Als der Polizist, der die Dienststelle leitete, ihn jedoch nach Vorgesetzten fragte, sagte er zutreffenderweise, daß er außer dem König hier keine in diesem Sternensystem hatte, aber wenn der Polizist einen Freigeborenen wissen wolle, der ihm das erklären könne, müßte er sich an Dira von Leuenhorst wenden. Der Name brachte mich auf die Lösung des Rätsels. Dira hatte doch für die jungen XZB12s Ausflüge auf den Planeten organisiert und da ihr bewußt war, wie wenig sie sich auskannten, Anweisungen ausgegeben, die sicherstellen sollten, daß die Polizei verlorenengegangene Brüder wieder einsammelt und ihnen hilft heimzufinden. Das hätte ich auch so gemacht, ich hatte nur nicht dran gedacht. Ich erklärte den Polizisten also die Situation und Treron gab ihm die Erklärungen, die wir Freigeborenen normalerweise geben, wenn sie wissen wollen, wie es ist, ein XZB12 zu sein.

Ich warnte den Beamten auch vor, daß eine weitere solche Gruppe kommen würde.

Nachdem ich einiges über die Naivität von Zuchtsklaven geschrieben habe, muß ich auch noch etwas zu der Naivität von Dira sagen. Sie hat nämlich in der irrigen Ansicht, das ihre Leute ein Anrecht darauf hätten, auf jedem Planeten Landurlaub zu erhalten, der dem Reich angehörte, wenn das Schiff lange genug dort war, um ihnen das zu ermöglichen. Daher hat sie ihren Leuten auf einem Planteten Landurlaub gewährt, auf dem ein verantwortungsbewußter Kapitän das niemals getan hätte. Während einige ihrer weniger naiven Untergebenen zugesehen hatten, daß sie ihren Landurlaub getauscht kriegen, waren ihre eigenen Leute, glücklicherweise jeweils in Gesellschaft eines XZB12s als Pärchen unterwegs gewesen. Während Diras Leute die Welt per se für einen sicheren Ort hielten, sofern man nicht gerade in der Schlacht auf Feinde trifft, dachten sich die XZB12s "Wie Gefahr? Das sind doch nur Kriminelle, das ist doch keine Schlacht!" und brachten es einfach nicht fertig, diese Gegenden für gefährlich zu halten. Die Pärchen gingen also auf Landurlaub und kamen letztlich auch alle heile zurück. In den Fällen, in denen Dira eingegriffen hatte, um Probleme mit Einheimischen zu lösen, war zwar zu ihr durchgedrungen, daß es irgendwelche Schwierigkeiten gegeben hatte, aber in den meisten Fällen hatte sie weder das Problem noch die Lösung begriffen. Den Technikern, die auf ihren Schiffen dienten, war der Landurlaub dort zu gefährlich gewesen, aber sie hatten ihre Kriegssklavenkollegen vorgewarnt und von ihnen verlangt sich regelmäßig zu melden und sich das Tablet nicht wegnehmen zu lassen.

Die Kriegssklaven haben sich regelmäßig gemeldet und sich das Tablet nicht wegnehmen lassen und sie haben sich außerdem nicht von Dingen beunruhigen lassen, die jeden normalen Menschen beunruhigt hätten. Stattdessen haben sie sich teilweise von Stellen gemeldet, wo die Techniker es für geraten hielten, zwei bewaffente Beiboote eines Kriegsschiffens vorbeizuschicken, um sie zurückholen zu lassen und sie haben sich teilweise auf eine Weise gemeldet, von denen ihre Gefangenenwärter angenommen hätten, daß diese technisch unmöglich ist. Zu Dira drangen diese Komplikationen nicht durch. Sie nahm an, sie hätte lediglich auf höfliche Weise Mißverständnisse geklärt, die dadurch aufgetreten seien, daß die Kriegssklaven so naiv wären und nicht wüßten, wie man mit Behörden umgeht. Tatsächlich war da nichts, womit irgendjemand hätte umgehen können, sondern ein menschliches Hindernis, das man umgehen mußte, um ans Ziel zu gelangen. Und Diras Leute haben ganz sicher nur überlebt, weil sie jeweils einen XZB12 als Leibwächter hatten. Wie man Kriminelle einschüchtert, wissen wir schließlich.

Die meisten XZB12s waren allerdings mit ihren Partner aus eigener Kraft zurückgekommen und alle waren nachher immer noch der Ansicht "Wie Gefahr? Das sind doch nur Kriminelle, das ist doch keine Schlacht!" und den Kriminellen, die ihnen in die Quere kamen, sind einige Unfälle passiert, mit denen sie niemals gerechnet hätten, die aber im Vergleich zu dem, was sie vorgehabt hatten, noch relativ harmlos gewesen waren. Da das Geld, das ihnen zur Verfügung stand, nur elektronisches Geld war, reichten die Hackerfähigkeiten der XZB12s, um ihre Zahlungsfähigkeit auch dann aufrecht zu erhalten, wenn sie es mit Betrügern zu tun bekamen. Die Betrüger dürften danach zu dem Schluß gekommen sein, daß es ein verlustreiches Geschäft ist, einen XZB12 zu betrügen. Allerdings glaube ich, daß die XZB12s in dem Geld nur Datenbits sahen, die man so ändert, das alles funktioniert, wie es sich gehört und daß sie das Konzept von Geld nicht begriffen haben. Das Konzept ist ja auch verrückt. Ich habe Jahre gebraucht, bis ich begriffen habe, daß Freigeborene Geld für etwas Reales halten und nicht für etwas Virtuelles, wie Datenbits es nun einmal sind.

Kersti

Fortsetzung:
F1777. Dira von Leuenhorst: Die Antworten reichten von "Habe ich doch!" bis zu "Ich dachte das wüßtest du!" und ich fragte, warum ich es dann nicht verstanden hatte
F1810. Treron XZB12-5-13: Saman erklärte mir, daß die Mittelschicht sich öfter solche Wohngebiete schuf, wo man sich sicher fühlen kann, während Oberschicht und Unterschicht häufiger kriminell waren

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben