"Ich wollte dir sagen, daß ich dich gleich offiziell zum
neuen Gardehauptmann ernennen werde. Nur damit du nicht aus allen
Wolken fällst." erklärte er.
"Aber warum mich? Warum nicht Gared? Ich bin doch viel zu jung und
er hat ein halbes Leben darauf hingearbeitet." protestierte ich.
"Ich will dich und keinen Anderen."
"Aber warum?" fragte ich absolut verwirrt und hilflos.
Zum Gardehauptman ernannt wurden alte erfahrene Männer, die
wußten was sie taten, nicht so junge unerfahrene Leute wie ich.
Er mußte verrückt geworden sein.
"Korith, ich will daß du mein Gardehauptmann bist." sagte
er wieder.
"Wer hat dir das gesagt?" fragte ich.
"Mein Bruder. Heute morgen."
"Worüber habt ihr da eigentlich gesprochen?" fragte ich.
"Mein Bruder hat mir haarklein alles erzählt, an was ich als
König heute so denken muß. Ich fürchte nur, ich habe
fast alles wieder vergessen."
Ich schmunzelte:
"Dann solltest du ihn vielleicht morgen früh wieder danach
fragen."
"Mach ich. Er kommt morgen zu Besuch und schaut nach dem
Rechten."
"Ich bin froh, daß du so einen Bruder hast." sagte ich
aus vollem Herzen.
Da brach er in Tränen aus. Ich nahm ihn in die Arme und fragte
mich warum. Ja - klar, ich hatte von seinem Bruder geredet. Und der
andere Bruder, der der ihm viel näher gestanden hatte, war tot.
Klar, daß er weinte. Aber er würde lernen müssen,
damit zu leben. Tote zum Leben erwecken
gehörte nicht zu meinen Fähigkeiten.
Sanft strich ich ihm übers Haar. In dem Augenblick war ich froh um all die Ausflüge, die wir als Kinder gemeinsam so unternommen hatten. Wenn sein Vater das erfahren hätte, hätte er es mit Sicherheit verboten. Ich hätte wahrscheinlich eine schreckliche Tracht Prügel bekommen und wäre vielleicht sogar aus der Garde entlassen worden. Das hatte wir beide gewußt. Und jetzt, wo er tot war, begriff ich auch warum. Wahrscheinlich war er sich viel bewußter gewesen als wir Kinder, wie gefährlich das Leben eines Königs ist. Froh war ich darum, weil es zwischen uns eine Beziehung geschaffen hatte, die tief genug war, um ihn vielleicht davor zu bewahren, an dieser grausamen Realität völlig zu verzweifeln.
"Was hat dein Bruder gesagt, warum du mich zum Gardehauptmann
machen sollst?"
"Er hat gesagt - er hat erzählt wie verzweifelt er war, als er
als kleiner Junge ins Kloster geschickt worden war, und das
Gefühl hatte ein Versager zu sein. Und daß er da in seiner
Verzweiflung einige Sachen gemacht hat, die sehr gefährlich
waren. Aber er war nur ein Kind und der Abt hat ihm dann eine Tracht
Prügel gegeben und ihn ins Bett gesteckt. Und dann hat er mich
gefragt, ob ich nicht verzweifelt genug bin, um ebenso verrückte
Dinge zu machen. Und ich habe zugegeben, daß er recht hat. Er
hat gefragt, ob Gared mir gehorchen würde, wenn ich ihm verbieten
würde, mich daran zu hindern. Und ich habe ja gesagt. Er hat
gefragt ob du mir gehorchen würdest - und ich habe nein gesagt.
Und er meinte, deshalb soll ich dich zum Hauptmann machen, damit du
auch die Position hast, die dir erlaubt nein zu sagen."
Ich sah ihn nachdenklich an. Ja, das gab Sinn. Dieser Abt war ein sehr
kluger Mann.
"Aber ich bin wirklich sehr jung und sehr unerfahren für
diesen Posten." sagte ich leise.
"Du jung? Ja. Stimmt. Aber ich bin noch jünger und ich bin
König." sagte er.
Und sah in diesem Augenblick wirklich so jung und unerfahren aus, wie
er war. Ich zuckte mit den Schultern.
"Gut. Ich nehme den Posten an. Hast du eigentlich Gared schon davon
erzählt?"
"Nein. Verdammt. Ich wußte doch, daß ich die
Hälfte vergessen habe! Außerdem sollte ich noch nach den
Kranken sehen."
Er sah richtig gehetzt aus. Wahrscheinlich wäre so viel zu tun
gewesen, daß er es in der Zeit gar nicht alles hätte
schaffen können.
"Das habe ich schon gemacht. Sie leben alle noch. Und der Arzt
meint, er bekommt sie auch alle durch."
"Im Ernst?"
Er sah genauso ungläubig aus wie ich mich gefühlt hatte, als
der Arzt das gesagt hatte. Ich nickte:
"Und ich glaube ihm das. Ich habe ihn auf seiner Runde
begleitet."
"Dann ist er ein verdammt guter Arzt. Bei Nori wären jetzt
schon die Hälfte tot." sagte er.
"Ja. Ein echter Glücksgriff. Ich hätte nie gedacht,
daß er so gut ist." bestätigte ich.
Irgendeiner der Gardisten hatte vor Jahren mal in meiner Gegenwart
gesagt, daß dieser Arzt sehr gut sein solle. Und das war der
erste Arzt gewesen, der mir in dem Chaos des Attentats eingefallen war.
Manchmal hat man wirklich Glück.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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