Es stimmte schon: Genau das waren die Eigenarten, die man von den jungen adeligen Damen bei festlichen Angelegenheiten zu sehen bekam. Aber genausowenig wie in allen anderen Gesellschaftsschichten, waren diese jungen Edeldamen alle wirklich so. Es gab auch unter ihnen welche, die sich mit sinnvollen Dingen abgaben. Es gab keinen Weg, den König zu einer Heirat zu zwingen - aber ich fand, daß er eine Frau brauchte. Kein albernes verwöhntes Ding sondern eine echte Partnerin, die ihm einen Teil der Regierungsverantwortung abnehmen konnte. Er war einfach zu einsam.
Es war nicht schwer gewesen, herauszufinden, welche der Mädchen vernünftig waren, etwas im Kopf hatten und ein paar Interessen mit meinem König teilten. Und dann mußte ich mir nur noch etwas einfallen lassen, daß Geron diese Seite seiner zukünftigen Frau auch zu sehen bekam...
Ich ging zum Stall wo die Pferde der Gäste aus Longhold untergebracht
waren, die heute morgen angekommen waren. Gared kam mir entgegen und sah
mich an. Ich lächelte ihm zu und fragte:
"Wo ist sie?"
"Im Stall und striegelt ihr Pferd."
Ich nickte und ging hin. "Sie" war ein fünfzehnjähriges
Mädchen. Gerade mal im heiratsfähigem Alter und trug einfache
Reitkleidung. Tatsächlich war sie eine Edeldame - aber im Augenblick
hätte ein unaufmerksamer Beobachter sie für einen der Kadetten
halten können.
"Sie striegeln ihr Pferd selbst?" fragte ich anerkennend.
"Ja. Er genießt es immer so."
Liebevoll ließ sie den Blick über ihr Pferd gleiten, das sich
unter den gleichmäßigen festen Strichen des Striegels behaglich
streckte.
Ich betrachtete amusiert den feurigen Hengst, der ihr gehörte. Er war schön - aber gewiß nicht das, was man als das passende Pferd für eine Dame betrachtet - obwohl Gared mir erzählt hatte, daß er sich bei offiziellen Anlässen so verhielt, als wäre er eines - aber nur unter dieser Reiterin. Es hieß, niemand anders könne das Pferd reiten. Und sie hatte ihn selbst zugeritten.
Lächelnd hielt ich ihm die Hand hin und er schnaubte leise hinein. Als er mich ausgiebig begrüßt hatte, begann ich sacht, ihn zu streicheln. Er war ein sehr liebes Tier. Er hatte nur sehr bestimmte Vorstellungen davon, wer auf ihm reiten durfte und wer nicht. Und sie hätte es nie zugelassen, daß ihn jemand zu irgendetwas zwingt. Ich fragte mich, ob ich ihn mit etwas Geduld dazu bewegen könnte, mich reiten zu lassen.
Eine Weile redeten wir über Pferde dann fragte sie:
"Darf ich eine persönliche Frage stellen?"
"Ja." antwortete ich, denn mir war schon klar, welche Frage folgen
würde:
"Wo haben sie ihren Arm verloren?"
Ruhig erzählte ich, was dazu geführt hatte.
"Sag mal, ist der König es wert, daß man so etwas für
ihn tut?" fragte sie.
Ich warf ihr einen überraschten Blick zu. Niemand stellt einem
Leibwächter eine solche Frage. Es wurde als selbstverständlich
betrachtet, daß er sein Leben für seinen Herrn gibt.
Andererseits mußte sie wissen, daß ihr Vater versuchte, sie
mit dem König zu verheiraten. Allerdings ging er es völlig
falsch an. Dann wurde ich nachdenklich.
"Für mich: Ja. Ich liebe ihn wie einen jüngeren Bruder. Ich
bin heilfroh, daß er noch am Leben ist, auch um den Preis,
daß ich einen Arm verloren habe. Aber er selbst konnte es sich
lange nicht verzeihen, daß er mich in diese Situation gebracht hat.
Und ich weiß nicht, wie ich damit hätte leben sollen, wenn ich
damals nicht dagewesen wäre, um ihn zu verteidigen und wenn er
gestorben wäre." antwortete ich ruhig.
"Wenn ich einen Arm verloren hätte, würde ich nicht mehr
leben wollen." sagte sie.
Ich sah sie wieder überrascht an. Ich sah vielen Menschen an, wenn
sie meinen Armstumpf betrachteten, daß sie genau das dachten. Und
dann gingen sie mir mit ihrem nutzlosen Mitleid auf den Geist. Diese
Direktheit gefiel mir.
"Das war für mich nie eine Frage. Ich wußte immer, daß
ich leben will. Weißt du, das Leben ist so reich an
Möglichkeiten. Selbst wenn man schwer behindert ist bleibt immer
noch mehr übrig, als man je nutzen könnte." erklärte
ich.
Sie musterte mich nachdenklich und nickte dann ruhig.
"Es heißt, daß Menschen die ein Körperteil verloren
haben oft ein Leben lang Schmerzen haben." fuhr sie fort.
"Das stimmt. Die meiste Zeit brennt mein verlorener Arm wie Feuer. Und
es hat sich, seit ich wieder auf den Beinen bin, nicht gebessert. Also
gehe ich davon aus, daß ich für den Rest meines Lebens diese
Schmerzen haben werde." erklärte ich und lächelte.
"Du bist ein merkwürdiger Mensch. Ich würde Dich gerne besser
kennenlernen." sagte sie.
"Wir werden in zwei Stunden mit einigen Mitgliedern der Garde einen
Ausritt machen. In Zivil, um nicht so aufzufallen. Das heißt, deine
jetzige Kleidung wäre angemessen. Wer nicht genau hinschaut, wird
dich für einen der Jungen halten, aber das macht den Ritt nur
entspannter."
"Aber kann es dann nicht passieren, daß wir zu spät zum
Essen kommen und wäre der König dann nicht beleidigt?"
"Ich kann Dir garantieren, daß wir rechtzeitig zurück sein
werden." sagte ich, denn es war wirklich unmöglich, daß
wir unpünktlicher zurückkommen würden als der
Käönig.
Sie sagte zu.
Zwei Stunden später kam mein König in Bauernkleidung mit seinem
Pferd aus dem Stall. Das Mädchen stand schon mit ihrem Hengst neben
mir und wir unterhielten uns entspannt. Unsere beiden Pferde standen
fertig gesattelt und aufgezäumt bereit und mußten von Zeit zu
Zeit ermahnt werden, daß jetzt nicht der richtige Zeitpunkt zu
einem kleinem Spaßkampf war. Eigentlich mochten sie einander.
Die anderen Männer waren auch schon bereit.
"Geron, das ist Lira. Sie kommt heute mit." sagte ich.
Mein König nickte nur und schmunzelte. So abgekürzt -
eingentlich hieß sie Liranna - klang es nach dem Namen eines
Bauernmädchens und er dachte, ich hätte ein Mädchen
gefunden, das mir gefiel. Irgendwo stimmte das ja auch. Sie war wirklich
etwas Besonderes. Aber das war meiner Erfahrung nach ein guter
Maßstab dafür, was ihm gefiel. Mein Mädchen hätte er
auch gerne geheiratet, wenn das nicht aus gesellschaftlichen Gründen
vollkommen undenkbar gewesen wäre. Ich hatte ihm damals nicht
verraten, daß wir heiraten wollten.
Ich fand einige Ausreden, warum ich während des Rittes wenig Zeit hatte, mit ihr und dem König zu reden. Nicht so wenig, daß es auffällig gewesen wäre - aber so wenig, daß sie miteinander ins Gespräch kamen und sich bald nicht mehr voneinander losreißen konnten. Es sah also gut aus.
Nach dem Ausritt trennten wir uns. Alle hatten es eilig, sich in Schale zu werfen, um rechtzeitig zum Essen zu kommen, denn wir waren ziemlich spät dran. Ich mußte sehr aufpassen, um bei all der Eile nicht allzu auffällig zu grinsen, weil es so gut lief. Am Tisch saß sie direkt neben dem König. Er hatte zugeben müssen, daß es unhöflich gewesen wäre, wenn er auf einer anderen Tischdame bestanden hätte. Wir kamen herein. - Alles stand noch, denn niemand setzte sich vor dem König. Ich blieb einen Schritt hinter dem König zurück. Als Leibwächter würde ich während des Essens hinter dem König stehen und erst nach der Malzeit essen. Und diesmal hatte ich mich selbst zur Wache eingeteilt. Als wir hereinkamen drehte sich das zierliche Mädchen in den kostbaren Kleidern um, erkannte den König wieder und starrte ihn wie vom Donner gerührt mit offenen Mund an. Auch der König starrte sie fassungslos an und dann begannen beide gleichzeitig zu lachen. Ich schmunzelte. Es hatte funktioniert.
Der Vater des Mädchens fragte ungehalten, was denn los sei. Niemand
antwortete. Die beiden lachten nur noch lauter. Die zweite Wache war nicht
eingeweiht und war deshalb ebenso verwirrt wie der Rest der
Tischgesellschaft.
"Liranna, wo hast du ihn kennengelernt?"
"Das kann ich nicht sagen. Er hat gesagt, wenn ich ihn verrate, wird
er dafür sorgen, daß ich Prügel bekomme." antwortete
sie immer noch prustend.
"Wo habt ihr euch kennengelernt!" fauchte der Fürst den
König an, und vergaß über seinem Zorn sämtliche
Umgangsformen.
"Das kann ich nicht sagen. Sie hat gesagt, daß ich Prügel
bekomme, wenn ich verrate, wo wir uns kennengelernt haben."
antwortete der König und lachte noch mehr.
In dem Augenblick sah der Fürst mich an und erkannte, welche
Mühe ich mir geben mußte, um nicht ebenso laut zu lachen wie
die beiden.
"Wo haben die beiden sich kennengelernt?" fragte er mich, ohne
drohenden Unterton.
"Das kann ich nicht sagen. Wenn sie es nicht sagen wollen, dann steht
mir das erst recht nicht zu." antwortete ich und irgendwie gelang es
mir, meinem Gesicht eine einigermaßen ernste Miene aufzuzwingen,
denn ich hätte mir es kaum erlauben können, ihn auszulachen.
"Was ist hier eigentlich los?" fragte er empört in die
Runde.
"Ein hundsgemeiner Heiratskomplott." brachte mein König
heraus und begann wieder zu lachen.
Der Fürst starrte mich durchdringend an. Ich mußte mich sehr
beherrschen um nicht ebenso zurückzustarren, aber das wäre
meiner Stellung unangemessen gewesen.
"Wie fühlt man sich so, wenn seine Intrigen durchschaut
werden?" fragte er.
"Das ist bei einem hundsgemeinen Heiratskomplott vollkommen
unerheblich, sobald er aufgegangen ist, Herr. Dann wollen beide Parteien
nämlich heiraten." erklärte ich und schaute ihm offen in
die Augen.
"Und wie ist der Komplott abgelaufen?"
"Ich habe ihnen lediglich vor Augen geführt, daß sie
gemeinsame Hobbys haben, Herr." antwortete ich.
"Welche Hobbys?"
"Sie stehen im Stall und wiehern."
Der Fürst sah mich nachdenklich an und nickte dann verstehend. Ich
hatte es nicht direkt gesagt, aber es mußte ihm klar sein, daß
die beiden einen gemeinsamen Ausritt gemacht hatten, ohne zu wissen, wer
der jeweils andere war. Also beide in Verkleidung. Und er hatte es seiner
Tochter verboten, sich in ihrer einfachen Reitkleidung vor dem Mann zu
zeigen, den sie seiner Ansicht nach heiraten sollte. Sie sollte
schließlich keinen schlechten Eindruck machen. Es ging aber weder
seiner Tochter noch dem König jetzt noch darum, daß der
Fürst das nicht erfahren sollte. Da der Heiratskomplott aufgegangen
war, würde der Vater dazu nichts mehr sagen. Sie waren nur beide zu
sehr miteinander beschäftigt, um dem Fürsten angemessen zu
antworten.
"Können wir uns nachher einmal unter vier Augen sprechen?"
fragte der Fürst mich.
Ich sah meinen König fragend an. Er nickte.
"Ja." antwortete ich.
Ich sagte dem Küchenmädchen, das gerade Wein hereintrug,
daß sie in der Wache melden solle, daß ich nach dem Essen
Ablösung brauche.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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